Skip to content
CLICK TO ENTER

„Es geht darum, neugierig zu sein, sich zu vernetzen und Verantwortung zu übernehmen.“

Christoph Thun-Hohenstein mit seinem Buch Klimaresonanz

Ein Gespräch mit dem Kulturmanager Christoph Thun-Hohenstein über den Wald als Kraftquelle, die Rolle der Kultur – und warum wir alle die Zukunft designen.

Lichtung: Wie würden Sie Ihre Beziehung zum Wald beschreiben?

Thun-Hohenstein: Für mich ist der Wald seit jeher eine zentrale Kraft- und Ruhequelle. Ich bin im Lavanttal in Kärnten aufgewachsen, wo meine Familie Waldbesitz hatte. Als Kind war ich ständig draußen, leidenschaftlich beim Schwammerlsuchen – sowohl auf der Alm als auch im Tal. Diese enge Verbindung hat mich bis heute geprägt.

Was bedeutet der Wald für Sie heute – auch im Hinblick auf Ihre neuen Projekte?

Aktuell baue ich mit Partnern eine Zukunftsplattform namens „ReGenerativa“ auf. Dabei geht es um ein neues Denken im Umgang mit der Natur – über Nachhaltigkeit hinaus. Regeneration bedeutet, der Natur mehr zurückzugeben, als wir ihr entnehmen, und beschädigte Ökosysteme zu heilen. Der Wald ist dabei ein zentrales Element: Er symbolisiert nicht nur Natur, sondern auch Erneuerung, Stille und Lebenskraft.

Geht es also um ein neues Verhältnis zur Natur?

Ja, genau. Wir müssen begreifen, dass wir Teil der Natur sind, nicht getrennt von ihr. Das ist ein grundlegender Perspektivenwechsel. Was wir der Natur antun, fällt letztlich auf uns zurück. Der Künstler Friedensreich Hundertwasser sagte einmal, wir bräuchten einen Friedensvertrag mit der Natur – das ist aktueller denn je.

Viele empfinden Technik als Gegenpol zur Natur. Sie sehen das anders?

Ich sehe keinen Widerspruch zwischen Technik und Natur. Im Gegenteil: Digitale Medien und vor allem künstliche Intelligenz können uns helfen, die Komplexität und Intelligenz der Natur besser zu verstehen. Sie können Werkzeuge sein, um Bewusstsein zu schaffen – vorausgesetzt, wir nutzen sie mit dem richtigen Mindset. Es geht darum, neugierig zu sein, sich zu vernetzen und Verantwortung zu übernehmen.

Welche Rolle spielt dabei der Begriff „Commons“ – also das Gemeinwohl?

Der Wald kann uns lehren, wie wichtig Gemeingüter sind. Natürlich gibt es Eigentum – das ist legitim. Aber der Umgang mit Natur darf nicht rein extraktiv sein. Wir müssen lernen, sorgsam mit ihr umzugehen. Denn wenn wir heute Wälder ausbeuten, rauben wir uns und kommenden Generationen Lebensqualität. Regeneratives Denken bedeutet, den Wald zu schützen und dort, wo er geschwächt ist, wieder zu stärken.

Wie kann man als Einzelner konkret dazu beitragen – Ihrer Meinung nach?

Jeder Mensch hat mehrere Rollen – als Bürger, Konsument, Berufstätiger, Familienmitglied, im Freundeskreis sowie als Online-User. In all diesen Rollen kann man ansetzen: bewusst wählen und politisch mitwirken, im Beruf Themen einbringen, über Konsumverhalten nachdenken. Auch kleine Dinge wie ein begrünter Balkon oder das Eintreten für Bäume im eigenen Viertel sind Schritte. Wichtig ist, dass wir erkennen: Wir alle sind Zukunftsdesigner:innen. Jede Entscheidung zählt.

Wo sehen Sie den Auftrag für Politik, Wirtschaft und Kultur?

Die Politik ist gefragt, den Rahmen zu setzen – auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Und auch die Wirtschaft, vor allem die Mainstream-Wirtschaft, muss Verantwortung übernehmen. Ohne sie wird die Transformation nicht gelingen. Gleichzeitig spielen auch Kunst und Kultur eine zentrale Rolle: Sie können neue Perspektiven eröffnen, emotional berühren, gesellschaftliche Debatten anstoßen. Museen, Architektur, Design, Musik, Literatur, Film – sie alle tragen zur Bewusstseinsbildung bei.

Könnten Kunst und Wissenschaft hier enger zusammenarbeiten?

Auf jeden Fall. Immer mehr Wissenschaftler:innen suchen bewusst den Dialog mit Künstler:innen, um ihre Erkenntnisse einem breiteren Publikum zu vermitteln. Ob durch Design, Architektur oder bildende Kunst – kreative Ausdrucksformen sind Schlüssel, um komplexe Inhalte zugänglich zu machen. Deshalb müssen auch Bildungseinrichtungen hier neue Brücken bauen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft erkennen, wie eng unser Wohl und Wohlstand mit der Natur verbunden ist. Dass wir den Wald – und mit ihm die ganze lebendige Welt – nicht nur schützen, sondern regenerieren müssen. Dass wir ein Denken entwickeln, das nicht bei den Enkeln aufhört, sondern mindestens sieben Generationen in die Zukunft reicht. Und dass wir alle unsere Gestaltungsmöglichkeiten sehen – insbesondere als Bürger:innen, Konsument:innen, Berufstätige und generell weltoffene, kreative Menschen.

Herr Thun-Hohenstein, Sie haben in Ihrem Buch viele Gedanken zur Resonanz formuliert. Wäre das nicht ein eigenes Unterrichtsfach wert?

Ich halte Resonanz für eine der zentralen Theorien unserer Zeit. Es bräuchte schon früh eine andere Art des Unterrichts – eine, die Natur erklärt und unsere Einbettung in die Natur überzeugend vermittelt. Es geht nicht nur um Fakten, sondern um ein tiefes Verständnis dessen, was Natur für unser Menschsein bedeutet. Digitalisierung in Schulen sollte auch helfen, Natur besser zu verstehen – nicht nur Fake News zu erkennen.

Trotzdem sind Natur- und Bewegungsfächer oft die ersten, die gestrichen werden.

Leider. Dabei sind sie essenziell. Was bleibt von den komplizierten mathematischen Formeln, die in der Schule gelehrt werden – und was lernen junge Generationen über Klimakrise, Biodiversität und den Menschen als Teil der Natur? Bildung muss auf der Höhe der Zeit agieren, und es passiert schon einiges in Form von Projekten. Aber es braucht strukturelle Änderungen, um in der Schule ausreichende „Weltkompetenz“ zu den großen Fragen unserer Zivilisation zu vermitteln.

Gibt es persönliche Naturerfahrungen, die Ihnen besonders bedeutsam sind?

Ich liebe Moos und Wälder mit Bächen. Pilze faszinieren mich besonders – was sie leisten, wie sie Bäume unterirdisch verbinden, ist erstaunlich. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber verstärken unsere Faszination für Natur. Sie zeigen, wie komplex, kreativ und intelligent die Natur ist.

In waldpädagogischen Führungen legen wir zum Teil den Fokus auf Wahrnehmung. Gerade Kinder in Städten haben oft keinen Bezug zur Natur.

In Japan ist Waldbaden weit verbreitet – es geht um Sensibilität. Der Soziologe Nikolaj Schultz sprach von einer „neuen Empfindsamkeit“, die wir brauchen. Der Wald kann dabei eine enorme Kraftquelle sein – für Beruhigung, Resonanz und Gegenwärtigkeit.

Und diese neue Sensibilität kann auch zur Materialwahl führen – etwa Holz als Baustoff der Zukunft.

Genau. Holz vermittelt ein anderes Raumgefühl. Wichtig ist, wie wir es nutzen. Natur wieder in die Stadt zu bringen, ist eine große Herausforderung. Aber Projekte wie Neurourbanismus oder Green Care zeigen, dass auch der bloße Anblick von Natur eine wohltuende Wirkung hat.

Es ist nicht immer der echte Wald möglich, aber das Bewusstsein lässt sich auch anders fördern.

Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein neues Verhältnis – um eine Verbindung zur Natur, die vielen abhandengekommen ist. Diese Beziehung gibt uns Kraft und kann helfen, mit der Beschleunigung unserer Zeit besser umzugehen.

Apropos Beschleunigung – die digitale Welt treibt sie voran. Aber wollen wir nicht auch entschleunigen?

Der Soziologe Hartmut Rosa, der viel zur Beschleunigung geforscht hat, sagt selbst: Entschleunigung ist schwer erreichbar. Die Antwort ist Resonanz – das bewusste In-Beziehung-Treten mit der Welt. Es geht darum, Entfremdung zu verringern. Und das ist möglich – auf vielen Ebenen und mit vielen Hebeln.

Wie sehen Sie die Rolle der Forstwirtschaft bei der Transformation?

Man muss sie gewinnen – sie nicht als Gegner sehen, sondern als Partner. Es geht nicht um Überregulierung, sondern um Zukunftsfähigkeit. Neue Technologien helfen dabei enorm. Wir müssen ihre Potenziale nützen, ohne Existenzängste zu schüren.

Also braucht es auch niederschwellige Beratung?

Unbedingt. Und digitale Tools können hier helfen. Niemand kann ständig Berater:innen beschäftigen. Aber gute, allgemein zugängliche Informationen machen Transformation für viele machbar.

Gibt es für Sie persönlich noch Verbindung zum Wald?

Meine Familie hatte Wald, mein Bruder führt das weiter. Ich lebe in Wien in einem Außenbezirk mit Garten – da ist eine alte Linde, Nadelbäume und eine Vielfalt prächtiger Pflanzen, das ist eine große Bereicherung. Wenn ich wandern gehe und vor einer 200-jährigen Tanne stehe, spüre ich Ehrfurcht. Diese Bäume haben so viel erlebt – das macht demütig.

Wir brauchen also wieder mehr Ehrfurcht?

Ja. Und wir müssen technologische Entwicklung und Naturverbundenheit zusammendenken. Das ist kein Widerspruch. Es geht nicht um Rückzug in die Wildnis, sondern um ein respektvolles Miteinander von Stadt, Natur und Mensch. Ein neues Zeitalter, das ich als technologiefreundliche Naturmoderne bezeichnen würde.

Welche Bücher können Sie empfehlen?

  1. „Regenerativ – Aufbruch in ein neues ökologisches Zeitalter“ von Martin Grassberger
  2. „Regeneration – Ending the Climate Crisis in One Generation“ von Paul Hawken
  3. „Klimaresonanz“ von Christoph Thun-Hohenstein

Zur Person:

Christoph Thun-Hohenstein, geb. 1960, promovierte an der Universität Wien in Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte. Nach diplomatischen Einsätzen in Abidjan, Genf und Bonn prägte er ab 1993 maßgeblich den EU-Beitritt Österreichs mit. Von 1999 bis 2007 leitete er das Österreichische Kulturforum in New York, danach war er als Kunstmanager in Wien tätig. Von 2011 bis 2021 war er Generaldirektor des MAK – Museum für angewandte Kunst. Er gründete die Vienna Biennale for Change, die er von 2014 bis 2022 leitete. Ferner initiierte er die Klima Biennale Wien und ist Vorsitzender des Advisory Board dieser Biennale. Ab 2022 bis Februar 2025 leitete er die Sektion für internationale Kulturangelegenheiten im Außenministerium. Christoph Thun-Hohenstein ist aktuell Künstlerischer Leiter der von ihm 2025 initiierten Zukunftsplattform ReGenerativa.

Das Interview ist in Lichtung 15 erschienen. Gesamte Ausgabe lesen