„So wie in der Forstwirtschaft, ist es in vielen Lebensbereichen: Alles, was wir tun und sagen, hat Auswirkungen.“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erzählt im Dialog mit der Lichtung, warum er die Eiche schätzt und welche Lebenslektionen der Wald für uns parat hält.
Lichtung: Sie haben beim Besuch am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) im Jahr 2017 einmal den Nadelwald als Ihren Lieblingswald bezeichnet. Haben wir das richtig in Erinnerung bzw. ist das immer noch so?
Alexander Van der Bellen: Ja, mit Lärche, Fichte und Zirbe bin ich im Kaunertal aufgewachsen, denen bleibe ich verbunden. Unwetter, Starkregen, und der schwindende Permafrost oberhalb der Waldgrenze machen mit den damit einhergehenden Muren auch meinem Lieblingswald zu schaffen. Aber noch behauptet er sich.
Schätzen Sie eine Baumart besonders?
Schwierig, jede Baumart hat ihre Eigenschaften und Qualitäten, die sie wertvoll machen und ich bin ja auch kein Experte auf dem Gebiet. Aber wenn Sie so fragen, fällt mir spontan die Eiche ein: Die verbinde ich mit Stärke, Beständigkeit und Widerstandsfähigkeit. Sie kann über Jahrhunderte hinweg wachsen und trotzt dabei den Herausforderungen der Naturgewalten. Ihre tiefen Wurzeln verleihen ihr selbst Standfestigkeit und gleichzeitig bieten ihre starken Äste und ihr dichtes Laub Schutz und Lebensraum für eine Vielzahl von Lebewesen. In unserer schnelllebigen Welt erinnert uns die Eiche daran, dass Ausdauer, Stabilität und Beharrlichkeit wichtige Eigenschaften sind, die uns helfen, auch in schwierigen Zeiten standhaft zu bleiben und etwas zum Positiven zu wenden.

Haben Sie einen persönlichen Bezug zu einem bestimmten Wald? Was macht diesen Wald besonders für Sie?
Das Schöne an den Bergen des Kaunertals – wo ich heute noch gerne und oft bin – ist ja, dass ich in den Wäldern dort alle Wege kenne und man dort stundenlang unterwegs sein kann, ohne jemandem zu begegnen. Da ein paar Stunden mit dem Hund gehen und die Ruhe und die Natur zu genießen, das ist schon sehr fein. Hin und wieder mache ich das gerne, um ein bisschen Abstand vom Alltag zu gewinnen.
Wir haben auch einen Standort in Innsbruck, wo wir zum Thema Schutzwald und Naturgefahren forschen. Auch Lawinen, Schnee, Muren und Steinschlag sind Forschungsthemen. Wie schätzen Sie die Bedeutung von Wäldern in Bezug auf Naturgefahren ein?
Gut, dass in Innsbruck zu diesem Thema geforscht wird – gerade in Hinblick auf den Klimanotstand. Wir müssen die Auswirkungen der Klimakrise auf die Schutzwirkung von Wäldern besser verstehen und entsprechende Anpassungsstrategien entwickeln. Nur so können auch Maßnahmen entwickelt werden, die dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit von Wäldern zu erhöhen – schließlich wird die Häufigkeit von Naturkatastrophen noch weiter zunehmen. Insgesamt ist es wichtig zu verstehen, dass Schutzwälder in bergigen Regionen eine wichtige Komponente im Umgang mit Naturgefahren darstellen. Ihr Erhalt und ihre Pflege sind von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit von Menschen, Infrastruktur und Ökosystemen in diesen Gebieten.

Als Politiker muss man den richtigen Zeitpunkt abwarten können, ihn intuitiv abschätzen können, schreiben Sie auf Ihrer Website. Die Waldbewirtschaftung hat eine ganz eigene Dimension: Die Fehler oder Leistungen der Großeltern spüren erst die Enkel. Die Forstwirtschaft ist in ihrer Struktur generationenübergreifend. Momente spielen aber auch hier eine entscheidende Rolle. Ein Sturm, ein umgestürzter Baum, der zu spät entdeckte Forstschädling etc. Wie kann man Intuition und Wachsamkeit in seiner eigenen Disziplin ganz generell schulen, welche menschlichen Fähigkeiten sollte man im Beruf, in der Schule oder in der Ausbildung ganz besonders fördern?
So wie in der Forstwirtschaft, ist es in vielen Lebensbereichen: Alles, was wir tun und sagen, hat Auswirkungen, oftmals nicht nur auf unser unmittelbares Umfeld und auch nicht nur auf gegenwärtige Situationen – sondern z.B. auf den Planeten und auf kommende Generationen. Deshalb müssen wir auch jetzt etwas ändern und jetzt zusammen gegen die Klimakatstrophe ankämpfen, wenn wir unseren Enkelkindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen wollen.
Und was Intuition und Wachsamkeit betrifft: Mit unvorhergesehenen Herausforderungen umzugehen, das ist in jedem Bereich von Bedeutung. Wir haben ja in den letzten Jahren alle miterlebt, wie die Welt eine Herausforderung nach der anderen für uns parat hatte. Deshalb halte ich es, wenn Sie mich so fragen, vor allem für wichtig, zu lehren bzw. zu lernen, zusammenzuhalten. Denn nur gemeinsam, nur wenn wir zusammenstehen und aufeinander achten, kommen wir gut durch herausfordernde Zeiten.
Welche Rolle könnte Ihrer Meinung nach der Wald in der Bildung einnehmen? Was könnte er uns lehren?
Wälder spielen eine bedeutende Rolle in unser aller Leben, nicht nur als Ökosystem, sondern auch als Ort der Erholung, der Inspiration und des Lernens. In diesem Sinne können uns Wälder auch einiges lehren: etwa die Natur zu respektieren und besser zu schützen, indem sie uns ein tieferes Verständnis für ökologische Zusammenhänge vermitteln. Ich kann mir vorstellen, weil Sie nach Bildung fragen, dass die Beschäftigung mit unseren Wäldern auch viele Lebenslektionen parat hält. Sie lehren uns Geduld, Ausdauer und Achtsamkeit, wir lernen, wenn wir durch Wälder wandern, ihre Schönheit und Stille zu genießen. Und last not least erinnern sie uns daran, wie wichtig es ist, im Einklang mit der Natur zu leben und die natürlichen Ressourcen verantwortungsbewusst zu nutzen.
Zur Person
Alexander Van der Bellen ist in Tirol aufgewachsen und hat an der Universität in Innsbruck Volkswirtschaftslehre studiert. Nach einem längeren Aufenthalt in Berlin habilitiert er 1975 im Fach Finanzwissenschaften und lehrt ab 1977 an der Verwaltungsakademie des Bundes. 1980 kommt er als ordentlicher Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre an die Uni Wien. Von 1990 bis 1994 ist er Dekan bzw. stellvertretender Dekan der Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Abgeordneter der Grünen ist er von 1994 bis 2012, von 1997 bis 2008 auch deren Bundessprecher. Am 4.12.2016 wird er mit 53,8 % zum 9. Bundespräsidenten gewählt und am 9.10.2022 mit 56,7 % im Amt bestätigt.