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„Eine Erzählung, die den Wald verklärt, muss scheitern“

Christoph Hofinger ist Meinungsforscher und bekannt dafür, dass er beim ORF die Wahlergebnisse rechnet. Im Gespräch mit der Lichtung sagt er, dass nur eine Gesellschaft mit Zuversicht stark sein kann.

Es gab eine SORA-Umfrage, wonach sich die Menschen mehr Sorgen über die Umwelt machen als über Corona. Wie kann man sich das erklären?

Wir haben diese Daten in einer Frühphase von Corona erhoben. Damals hat uns erstaunt, dass sich zum ersten Mal ein Umweltthema über eine Krise gerettet hat. Früher war es meistens so, kam eine Wirtschaftskrise, war das Umweltthema weg. Trotz Corona­krise mit verbundener Wirtschaftskrise ist dieses Thema bei verschiedenen Gruppen sehr wichtig geblieben. Zum ersten Mal erleben wir, dass Umweltsorgen, vor allem rund um das Klima, thematisch eine gesellschaft­liche und wirtschaftliche Krise überleben und dass für beide Sorgen Platz ist.

In der Studie geht auch hervor, dass sich Menschen bzw. die Regierung während der Corona-Pandemie als selbstwirksam erlebt hätten. Welche Ansätze könnte man für jene Menschen daraus ableiten, die von den Wirkungen eines Schutzwaldes direkt ab­hängig sind?

Was heißt der Begriff Resilienz für verschiedene Gruppen der Bevölkerung? Die ganz große Antwort darauf ist, dass ich als Individuum, als Gemeinschaft Zuversicht habe. Zuversicht ist nicht nur in der Psychologie äußerst wichtig, sondern auch für eine Gesellschaft. Es hat auch massive Folgen für das Wahlverhalten. Und da sind wir auch bei ökologischen Fragen und der Rolle des Waldes. Aus den Umfragen, die wir bereits gemacht haben, zeigt sich, dass es in diesem Bereich Zuversicht gibt. Sowohl der Wald als auch die vom Menschen gestaltete Natur, auch die unberührte Natur haben grundsätzlich die Voraussetzung, Eckpfeiler der Zuversicht zu sein.

Es gibt viele Interessen am Wald. Was könnte die kleinste Schnittmenge sein?  

Es gibt einerseits das Potenzial des Waldes als etwas Gemeinsames, das unsere Gesellschaft stärkt. Das ist etwas, womit wir die Zukunft der nächsten Generationen stärken bzw. absichern können. Das treibt Menschen an. Gleichzeitig steigen auch die Ansprüche an den Wald aus vielerlei Gründen. Wir brauchen den Wald, weil er uns guttut. Wir brauchen ihn vermutlich mehr denn je als Rohstoff und erleben dann Dinge wie Verknappung.

Er bekommt jetzt eine massive Rolle gegen die Klimakrise – siehe derzeit die UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow. Er hat auch eine ökonomische Funktion: Die Tourismusbetriebe wollen, dass er schön anzuschauen ist. Das Kunststück wird sein, das Einigende des Thema Waldes zu bewahren und gleichzeitig gute Aushandlungsprozesse zum Thema Wald, die ehrlich und transparent sind, zu gestalten.

Denn wenn man all diese Nutzungskonflikte, die objektiv bestehen, verdrängt oder behübscht, dann tun wir weder der Gesellschaft noch dem Wald etwas Gutes. Wenn Menschen unterschiedliche Einstellungen zum Thema haben bzw. Partikularinteressen mitbringen, dann sollte man sich fragen, was unsere Werthaltungen sind und welche für den Wald relevant sind. Können wir auf Basis der geteilten Werthaltungen Dinge aushandeln?

Vielleicht werden wir in Zukunft  Bürger*innenräte brauchen, ein Beispiel für politische Instrumentarien bei kleinräumigen Konflikten. Wichtig ist, dass sich alle einig sind, es kann nicht nur diese eine Nutzung von Wald geben. Der Wald nutzt dieser Gesellschaft und den künftigen Generationen. Das ist ja auch eine Möglichkeit für eine Einigung – auf vielfältige Weise zu denken. Als Gesellschaft nehmen wir die Aufgabe an, die Nutzungen und Interessen am Wald auszubalancieren. Das ist eine Herausforderung, aber ich halte sie für lösbar.

Christoph Hofinger im Einsatz bei einer Wahlsondersendung des Österreichischen Rundfunks (ORF) © Foto: ORF/Roman Zach-Kiesling

Medien spielen bei der Schaffung von Aufmerksamkeit für Waldthemen eine wichtige Rolle. Der Brand von Hirschwang hat ihn und seine Probleme in den Vordergrund gerückt. Wie könnte man das Interesse aufrechterhalten, wenn es darum geht, den Schutz von Waldarbeiter*innen zu gewährleisten, wenn tausende zertifizierte Stecklinge für die Aufforstung u.v.m. langfristig Geld kosten. Wie kann man das breit erzählen?

Eine Möglichkeit beim langfristigen Erzählen wäre zu sehen, dass der Wald und ein seine Funktionen erfüllender Wald Teile unserer Zukunft sind. Corona hat gezeigt, dass für Projekte, die eine Gesellschaft braucht, die Ressourcen da sein können. In den 80er-Jahren gab es ausgehend von Thatcher und Reagan einen Trend zum schlanken Staat und auch einen Zweifel daran, ob uns staatliches Handeln überhaupt weiterbringt.

In Corona haben alle inklusive Wirtschaft gesagt, dass wir jetzt wieder einen Staat brauchen, der etwas kann und viel macht. Wir sind erst durch die Fridays For Future-Bewegung aufgeweckt worden und haben in der Coronakrise gesehen, dass wir als Öffentlichkeit und gleichzeitig in Verbindung mit Unternehmen sehr viel machen können. Dass wir in einen Raum kommen, wo Interessenskonflikte gänzlich ausgeblendet werden, wird uns nicht gelingen. Es wird Verhandlungen brauchen.

Eine zusätzliche Möglichkeit ist, dass ich Projekte rund um den Wald bzw. Schutzwald in einen Wertediskurs bette. Schutz von Menschen, solidarisches Handeln, das sind Werthaltungen, die weit verbreitet sind. Akteurinnen und Akteure haben die Aufgabe, auf Basis der geteilten Werthaltungen der Gesellschaft zu erklären, warum wir hier investieren. Das zweite wäre, Vertrauen zu bilden. Die Verantwortlichen sagen, was sie tun und tun, was sie sagen. Menschen sollen zuschauen können, wie Pläne Wirklichkeit werden.

Welchen Erzählstrang könnte man aufbauen, der langfristig ein hohes Interesse für den Wald weckt? Wie kommuniziert man etwa auf breite Ebene solche scheinbaren Widersprüche wie Wald zu nutzen, um das fossile Zeitalter zu überwinden, um durch Holz­nutzung fossile Energien einzusparen?

Narrative sind wichtig, um politische Vorhaben verständlich zu machen. Wir fragen uns immer, was leitet sich aus geteilten Werthaltungen ab? Was sind die Be­drohungen? Natürlich ist ein Ereignis wie in Hirschwang bedrohlich, aber es erinnert auch daran, dass wir als Gesellschaft die Aufgabe haben, jetzt pathetisch gesprochen, die Hölle zu vermeiden, und uns ein paar Schritte dem irdischen Paradies zu nähern. Im Angesicht der Be­drohung durch den Klimawandel zeigt sich, dass wir nicht im Schlafmodus durchkommen werden.

Eine Gefahr sehe ich allerdings in einem verklärten Waldbild. Es besteht in der Gesellschaft verständlicher Weise eine Sehnsucht nach unberührter Natur. Wenn ich mich um die Ressource bemühe, dann kann ich aber nicht mit dem Taschenmesser den Wald bewirtschaften. Für einen starken Wald muss man manchmal auch mit schwerem Gerät reingehen, manchmal braucht es auch die sanfte Bewirtschaftung. Es gibt klar begrenzte Räume für Idylle und Unberührtheit, wo Natur sich selbst überlassen ist. Das ist eine spannende Aufgabe für eine Erzählung. Die neue Erzählung ist, dass uns die Natur anvertraut ist, wir nutzen sie im Sinne der Menschen und verklären sie nicht. Dieses kommunikative Dilemma könnte man lösen, indem man Zielkonflikte transparent anspricht.

Sie plädieren für eine bildhafte, emotionale Sprache und da sind wir von der Kommunikation manchmal im Clinch mit den Wissenschaftler*innen. Wie könnte man damit umgehen? 

Das ist ein Klassiker. Es ist eine spannende Aufgabe. Was den Klimadiskurs betrifft, ist die Wissenschaft gescheitert. Wir wissen seit 40 Jahren, dass wir ein Problem haben, sind aber bis vor ein paar Jahren nicht damit durchgedrungen. Den Job haben die Jugendlichen auf den Demonstrationen erledigt – klar zu machen, es geht ums Überleben, nicht nur dieser Generation, sondern der ganzen Menschheit. Die Wissenschaft war durchaus inspiriert durch die „Fridays for Future“, sie mussten allerdings einen Zahn zulegen.

Die letzten Berichte von IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) sind wirklich kluges Lernen. Gewisse Dinge muss man außer Zweifel stellen. Eine Wissenschaft, die zu viel Zweifel in ihrer Erzählung hat, verwirrt, oder führt zu kognitivem Overload. Diese kognitive Überlastung ist in Corona auch eine seelische Pandemie. Begriffe, die niemand versteht, sind problematisch, weil sie auch Ärger gegenüber dem Absender auslösen. Der Preis für wissenschaftliche Korrektheit kann nicht sein, dass ich das Publikum ratlos oder sogar ver­ärgert zurücklasse.

Glauben Sie, dass Social Media rationale Diskursräume wesentlich stört?

Das ist eine wunderbare Möglichkeit, Menschen emotional zu erreichen. Dort anzudocken, Vertrauen zu bilden und die Selbstwirksamkeit von Projekten zu zeigen – ich würde sagen, da überwiegen die Chancen.

Was bedeutet verantwortungsvoller Wintersport für Sie? Derzeit wird der Slogan „Respektiere deine Grenzen“ eingesetzt. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Ich fahre seit 50 Jahren Ski, coronabedingt war ich letztes Jahr zum ersten Mal seit meiner Kindheit nicht Skifahren. Den Offroad-Stachel habe ich noch in mir. Wenn mir jemand sagt, das ist deine Grenze, dann würde ich mich in meinem Alter noch eingeschränkt fühlen. Ich fahre wirklich gerne Tiefschnee und gebe zu, dass ich schon durch Latschenwälder gefahren bin. Wenn mir jemand im Skigebiet Schlick in Tirol sagt, warum ich da etwas kaputt mache, mir aber auch sagt, wo ich mich austoben kann, dann nehme ich das gerne an.

Haben Sie sich während des Lockdowns eine Gewohnheit zugelegt, um diese Zeit zu bewältigen?

Ich bin für einen kleinen Garten mit Miniwald in der Semmering-Gegend verantwortlich. Durch Corona, Lockdown und Homeschooling bin ich öfters dort und das ist schon ein großes Geschenk. Ich möchte das Stück liebevoll und gleichzeitig schlampig betreuen, dass sehr viel auch ungeplant wachsen darf. Es gibt eine Böschung, die ich zwei Mal im Jahr mit einer Handsense mähe. Ich kann mich dadurch erschöpfen und vergessen.

Kürzlich stellte sich mir die Frage, wie ich eine junge Lärche vor Rehen schützen kann. Ich riss im Wald Dornen aus und machte damit einen Zaun. Null Gramm CO2, da nichts dorthin transportiert werden musste. Das sind die kleinen Glücksmomente, einerseits die Erschöpfung zu spüren und andererseits mit einem kleinen Beispiel bei der CO2-Bilanz mitzuhelfen.

Welche Baumart?

Pinie. Als Kindheitserinnerung im mediterranen Raum finde ich ihren Geruch unerreichbar.