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„Ich habe den Eindruck, Wald wird als Alleskönner gesehen.“

Bei der Journalistin Raffaela Schaidreiter ist die Schlagzahl der Arbeit extrem hoch. Als ORF-Korrespondentin ist sie ständig in Bereitschaft. Als wir sie doch noch für ein Interview erreichen konnten, erzählte sie uns, wie ihr Wald in der Arbeit begegnet und welche Baumart ihr am Herzen liegt.

Unser Heft dreht sich um die Waldtypisierung, an der wir maßgeblich beteiligt sind. Österreich wird zunehmend differenziert kartografiert. Was halten Sie davon?

Ich finde das sehr gut! Das erinnert mich an meine Arbeit. Je mehr Informationen es gibt, desto besser können Entscheidungen getroffen werden. Man kann dann auch die richtigen Fragen stellen, an die man zuvor gar nicht gedacht hat.

Wald ist politisch. Wie begegnet er Ihnen in Ihrem beruflichen Kontext?

Ich habe den Eindruck, Wald wird immer politischer. Ich beschäftige mich hier in Brüssel häufig mit dem Green Deal der EU-Kommission, mit neuen EU-Klima- und Umweltzielen. Der Wald spielt zunehmend eine wichtigere Rolle, gerade als CO2-Senke. Das Ökosystem Wald ist fast wöchentlich auf der Agenda verschiedener EU-Treffen. Zurzeit wird heftig darüber gerungen, ob Biomasse künftig weiterhin als erneuerbare Energie angerechnet werden soll. Dazu die EU-Waldstrategie, bei der etliche EU-Länder Bedenken haben, dass die EU-Kommission zentral in nationale Waldbewirtschaftung eingreifen will.

Umstritten sind auch neue EU-Renaturierungsziele, die den Wald betreffen würden. Ich finde, Wald begegnet mir zunehmend als politische Materie. Wenn es um solche Fragen geht, habe ich als BOKU-Absolventin (Universität für Bodenkultur, Anm) schon auch Vorteile. Ich muss mir vieles nicht erst anlesen, sondern habe sehr schnell eine Ahnung, wovon ist die Rede oder mit wem ich reden muss, sollte ich Fragen haben. Da kontaktiere ich sehr gerne frühere Professorinnen und Professoren, die mir helfen, vieles einzuordnen, um die Themen für unser Publikum verständlich und korrekt aufzubereiten.

Das Einordnen ist ein großes Thema, etwa beim Begriff Außernutzungstellen. In Diskussionen wird der Begriff häufig relativ undifferenziert verwendet, was auch zu Konflikten führen kann. Wie erleben Sie die Diskussion rund um dieses Thema?

Zurzeit dominiert noch oft ein Schwarz-Weiß-Denken. Die Diskussion ist emotional extrem aufgeladen. Im EUweiten Vergleich kommt mir vor, dass es in Österreich noch einmal eine Spur emotionaler verläuft. Das dürfte damit zu tun haben, dass Wald in Österreich zum Großteil in privater Hand ist. Nur in Portugal ist der Anteil an Privatwald noch höher. Deshalb spielen da auch Sorgen rund um Besitz- und Eigentumsrechte mit. Ich denke, es kommen bei den aktuellen Debatten auch noch zu selten Wissenschaftler:innen zu Wort.

Sehen Sie den Wald als Teil der Lösung für Zukunftsfragen?

Ich habe den Eindruck, Wald wird momentan als eine
Art Alleskönner gesehen und verkauft – als Rohstofflieferant, als Baustofflieferant, als CO2-Senke, als Biodiversitäts-Hotspot, als Beschützer des Trinkwassers, als Wirtschafts- und Arbeitsplatz. Wir sehen auf der anderen Seite, dass das Ökosystem Wald durch die Klimakrise enorm unter Druck ist, durch mehr Borkenkäferbefall, weniger Wasser, Feuer in Südost- und Mitteleuropa. Dem Wald wird momentan viel aufgehalst und er soll alles Mögliche lösen können, leidet aber selbst unter der Klimaveränderung. Dadurch, dass der Wald so eine Vielfalt bietet und ein multifunktionales Ökosystem ist, kann man ihm sehr viele Funktionen zuschreiben. Aber alles zu 100 Prozent ausreizen, das wird vermutlich nicht gehen. Die Funktionen haben auch eine Belastbarkeitsgrenze.

Raffaela Schaidreiter sitzt im Fernsehstudio mit zwei Männern an einem Tisch
ORF-EU-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter in der Sendung Inside Brüssel. Foto: ORF

Der Autor Michael Köhlmeier ist Herausgeber einer Publikation mit dem Titel Wildnis, wo er verschiedene
Prosatexte zum Thema zusammengestellt hat. Er sagt in der Einleitung, dass Wildnis nicht existiere, sie würde sie nur in unserer Vorstellung geben. Was denken Sie?

Es ist ein interessanter Zugang. Was verstehe ich eigentlich unter Wildnis? Wildnis definiert sich schon über die Eigenschaft einer Unberührtheit. Die wenigsten Wälder in Österreich sind aber völlig unberührt.

Insgesamt sind es 33 Prozent naturnaher Wald und Naturschutzgebiete. Wir haben das grad frisch durchgerechnet.

Wir wissen alle, dass der Wald grundsätzlich von alleine wächst. Es geht darum zu fragen, was wollen wir von unserem Wald? Wofür soll unser Wald da sein? Die Frage ist, was stellt man sich vor, wenn man in so einen unberührten Wald geht? Wenn es nicht gerade ein Buchenwald ist, wo man diese Buchenkathedralen hat, könnte es sehr schwierig sein, sich in diesem Wald zu bewegen.

Sie haben ja selbst Forstwirtschaft studiert und sind dann in den Journalismus gewechselt. Welche Beweggründe hatten Sie?

Ich bin während des Studiums jahrelang parallel gefahren. Ich habe beim ORF und bei anderen Medienunternehmen Praktika gemacht. Das Forstwirtschaftsstudium hat mich dennoch nicht losgelassen, es war enorm breit gefächert. Damals ist die Bedeutung des Waldes im Klimawandel ein modernes Forschungsthema geworden. Das war Mitte der Nullerjahre. Es hat mich extrem interessiert. Es hätte mich auch interessiert, in der Wissenschaft zu bleiben. Oder zur FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations, Anm.) zu gehen. Ich musste mich aber dann irgendwann entscheiden. Und als ein Angebot aus dem ORF-Landesstudio Salzburg gekommen ist, war es eine Bauchentscheidung.

Mit welchen Themen haben Sie sich während Ihres Studiums beschäftigt?

Ich habe am Institut für Forstschutz, Forstpathologie und Forstentomologie meine Diplomarbeit geschrieben. Das Thema war die Phylogenetik und Phylogeografie des Ips cembrae, des Lärchenborkenkäfers. Allerdings hat meine Karriere als Ph.D. am Institut für Waldbau (über die Genetik der Douglasie) nur wenige Monate gedauert, weil ich dann ein Angebot vom ORF bekommen habe. Mit Wald beschäftige ich mich momentan in der Freizeit, und zunehmend mehr in der Arbeit. Familiär hat Wald immer eine sehr große Rolle gespielt, Wald ist in meiner Familie stark verankert. Ich bin in vierter Generation Forstwirtin. Auch meine Schwester war an der Universität für Bodenkultur (BOKU) und hat Kulturtechnik und Wasserwirtschaft studiert. Ich bin dienstlich viel in Europa unterwegs. Wann immer ich ein paar Stunden Zeit haben, dann suche ich etwas außerhalb von Städten kleine Waldstücke auf, gehe herum und analysiere die Baumartenzusammensetzung, die Bewirtschaftungsformen, ob man Spuren der Holzernte sieht oder welche Zeigerpflanzen es gibt.

Der Blick wird wohl immer bleiben.

Ja, der analytische Blick durch die Forstbrille wird immer bleiben. Oft höre ich als Kommentar, dass es doch schade sei, nach dem aufwendigen Studium jetzt nicht mehr damit zu arbeiten. Das würde ich so nicht formulieren. Gerade die Forstwirtschaft lehrt dich, mehrere Disziplinen zusammenzuführen. Das ist dem Journalismus gar nicht unähnlich. Ich arbeite mit verschiedenen Materien auf EU-Ebene, da kommen unterschiedlichste Disziplinen zusammen. Es geht einfach um diese Übung, interdisziplinär zu denken. Ich rate jungen Leuten, die gerne Journalist oder Journalistin werden wollen, ein Fachstudium zu absolvieren, etwas, das einen wirklich interessiert. Journalismus ist weiterführend dann ein Handwerk, das man praktisch lernen muss.

Können Sie sich vorstellen, wieder in diesem Bereich tätig zu sein?

Momentan bin ich sehr glücklich in meinem Beruf, momentan ist es perfekt. Und von der Genetik bin ich schon viel zu lange weg, 10 Jahre schon. Da hat sich währenddessen einfach zu viel getan. Ich weiß auch nicht, ob ich eine PCR-Analyse noch schaffen würde (Labortechnik zur Vervielfältigung von Erbsubstanz, Anm.)

Die Lärche ist auf wissenschaftlicher Ebene ein Baum, der Ihnen am Herzen liegt. Gibt es eine Art oder eine Waldgesellschaft, die Sie besonders mögen?

Es ist tatsächlich die Lärche. Auch mein Papa hat seine Diplomarbeit über die Lärche geschrieben, über ihre Saatgutqualität. Bei meiner Lieblingsskitour gibt’s einen Lärchenhang. Die Lärche und ich begegnen einander irgendwie immer wieder.

Sie arbeiten viel. Wie entspannen Sie sich?

Bewegung und draußen in der Natur sein, so kann ich entspannen. Dann bekomme ich den Kopf wieder frei, es erdet mich. Das klingt vielleicht romantisch und pathetisch, aber für mich ist es wirklich so. Wenn ich in den Wald komme, dann merke ich, dass mein Herzschlag ruhiger wird.

Zur Person

Raffaela Schaidreiter ist seit fünf Jahren EU-Korrespondentin für den ORF. Seit einem Jahr leitet sie das Büro in Brüssel. Im Salzburger Pongau ist sie aufgewachsen und hat an der Universität Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaften und an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien und der ETH in Zürich Forstwirtschaft studiert. In Brüssel entspannt sie gerne im Forêt de Soignes, einem Waldstück, das sie teils an den Wienerwald erinnert. Von ihrer Wohnung in Brüssel braucht sie mit ihrer roten Vespa etwa 20 Minuten dorthin.

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