„Das Humane, vom dem so gern gesprochen und geschrieben wird, kommt wortwörtlich von Humus (…)“
Die Philosophin Lisz Hirn, Festrednerin anlässlich 150 Jahre Bundesforschungszentrum für Wald (BFW), erzählt in der Lichtung, warum der Mensch ein „Bodenlebewesen“ ist und Stapelchips nichts mit Nachhaltigkeit zu tun haben.
Lichtung: Wir haben die aktuelle Ausgabe dem Waldboden gewidmet. Er ist wichtig für die Trinkwasserproduktion, er speichert Kohlenstoff und seine Intaktheit gewährleistet einen resilienten Wald. Wie würden Sie als Philosophin die Bedeutung des Bodens interpretieren?
Lisz Hirn: Wir Menschen sind de facto „Bodenlebewesen“. Neben unserer biologischen, zoologischen Determiniertheit gibt es auch noch eine andere erstaunliche, eine philosophische, anthropologische: Wir Menschen sind die einzigen Lebewesen, die beerdigen. Das Humane, vom dem so gern gesprochen und geschrieben wird, kommt wortwörtlich von Humus, von der Erde, aus der wir entstehen, von der wir abhängig sind und zu der unser Fleisch wieder wird. Egal, ob man sich über die Zukunft sorgt, für den eigenen Unterhalt oder um unser Gewissen: die conditio humana, die menschliche Grundbedingtheit bleibt immer die Gleiche. Die Sorge um den Boden ist das Fundament für unsere Zukunft. Er ist es, der uns versorgt.
Boden ist häufig mit einem Heimatbegriff verbunden. In der Geschichte zeigt sich das als problematisch. Wie könnte man es schaffen, „Heimat“ wieder als etwas Positives zu Mainstreamen? Braucht man einen neuen Begriff?
Heimat ist ein Begriff, denn es so nur im Deutschen gibt. Das Heim, das Heimelige steckt ebenso drinnen, wie auch das Un-heimliche. Freud hat schon auf diese Ambivalenz hingewiesen. Ich kann mehr mit dem Wort Zugehörigkeit etwas anfangen. Wo finde ich Gehör und mit welchen Landschaften kann ich in Resonanz treten?
„Nachhaltigkeit“ kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft – vor etwa 300 Jahren wurde er von dem Berghauptmann Carlowitz formuliert. Nun zieht er sich durch viele Lebensbereiche. Wofür setzen Sie ihn ein?
Es gibt keine tierfreundliche Gänseleber, keinen mitarbeiterfreundlichen Textildiskonter und keine nachhaltigen Stapelchips. Mehr Ehrlichkeit mit uns selbst und auch ein stärkeres Hinterfragen unseres Lebensstils. Und nein, das schließt Genuss nicht aus!
Sie haben einmal gesagt, dass Sie jedem Gedanken, der im Sitzen entstanden ist, grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen. Wie sollte Bewegung in unseren Institutionen wie Schule, Arbeit, Ausbildung organisiert sein – wo stehen wir, wo sollten wir hin? Könnte darin Wald eine Rolle spielen Ihrer Meinung?
Ich bin keine Sportpsychologin oder Arbeitsmedizinerin. Es geht nicht um funktionale Bewegung, um noch effizienter zu arbeiten. Bitte missverstehen Sie mich richtig! Ideen, Konzepte müssen sich aber an der Realität messen und sich daher „raus in die Welt“ bewege
Das BFW wurde dieses Jahr 150 Jahre alt. Was wünscht man einer Forschungsorganisation?
Das muss ich eher Sie als Repräsentantin fragen. Was wünschen Sie sich? Mit dem eigenen Erbe verantwortungsvoll umzugehen und nicht zu erstarren, das ist eine große Aufgabe. Aber das BFW hat gute Voraussetzungen.
Könnten Sie mit uns die wesentlichen Gedanken, die Sie in Ihrer Rede bei unserer Feier formuliert haben, hier mit uns teilen?
Es geht nicht um einen romantischen Appell, um ein „Zurück zur Natur!“ Der kürzlich verstorbene französische Philosoph Bruno Latour hielt seinen Vorschlag für die Definition des Bodens wie folgt fest: „Ein Boden, der nichts mit dem LOKALEN zu tun hat, und eine Welt, die weder der Minus-Sichtweise noch der planetarischen Sichtweise ähnelt.“ In dieser Welt und auf diesem Boden ist Ökologie nicht der Name einer Partei, nicht einmal der einer bestimmten Art von Anliegen, sondern der eines Appells, die Richtung zu ändern: Hin zum Terrestrischen!
Was fasziniert Sie persönlich am Wald?
Der Geruch. Am besten gleich nach dem Regen.
Zur Person
Lisz Hirn studierte Geisteswissenschaften und Gesang in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Sie ist als Philosophin, als Publizistin & als Dozentin in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig sowie als freiberufliche Künstlerin an internationalen Kunstprojekten und Ausstellungen beteiligt. Zusätzlich hat sie 2017 den Diplomlehrgang für „praxisorientiertes Projektmanagement“ abgeschlossen. Die Schwerpunkte ihrer philosophischen und wissenschaftlichen Arbeit liegen in der philosophischen Anthropologie, politischen Philosophie, interkulturellen Ethik und der philosophischen Praxis. Lisz Hirn lebt und arbeitet derzeit in Wien.
www.liszhirn.at
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