Lange Pfade
Die Forstwirtschaft verwendet seit etwa 300 Jahren den Begriff der Nachhaltigkeit. Welche Meilensteine und Perspektiven gibt es dazu in Österreich? Ein Blick auf die Geschichte und auf die Zukunft, zeigt auf, welche Themen u.a. von Relevanz sind: Klimafitness und Invasivität.
Drei Jahre nach Ende der Revolution von 1848 bringt man in Österreich mit dem Forstgesetz (1852) wichtige Meilensteine in das Rechtssystem: Waldschutz, intensive Bemühungen zur Aufforstung und das Verbot der Waldverwüstung sind die zentralen Kapitel. Unregulierte Holznutzungen im Zeitalter der Industrialisierung ließen den historischen Tiefstand von nur 26 % Bewaldung im 17. Jahrhundert zwar allmählich wieder steigen.
Dennoch war klar, dass der Prozess des Waldaufbaus nur langsam vor sich geht und Maßnahmen abverlangt. Spätestens nach den verheerenden Unwetterkatastrophen im 19. Jahrhundert erhöhte sich das Bewusstsein dafür, dass Wald vor Naturgefahren schützen kann. Unzählige Initiativen entstanden, um eine breite Aufforstung vor allem in Bergregionen zu fördern. Prämien, Medaillen, festliche Anlässe wie ein Hochzeitsjubiläum des Kaiserpaares wurden dafür genutzt, um Baumpflanzungen quer durch das Land zu mobilisieren.
Gesetz mit Spielräumen
Um 1900 startete in Österreich ein Prozess der Liberalisierung. Teile des staatlichen Waldes, aber auch bäuerlicher Waldbesitz wurden im Westen Österreichs veräußert. Die Themen waren damals schon jene, die Fachkräfte heute noch beschäftigen: Wildverbiss, Forstschädlinge, Waldbrände und intensive Weidewirtschaft behinder(t)en viele Maßnahmen zur erfolgreichen Wiederaufforstung. Der Nachfrage hochwertiger Forstpflanzen konnte kaum entsprochen werden. Aufforstungen zum falschen Zeitpunkt mit minderwertigem Pflanzmaterial oder ungeeigneter Herkunft waren die Folgen.
Auch griff man dort auf Nadelgehölze wie Fichte, Lärche oder Kiefer zurück, wo sie zum Teil nicht standortangepasst sind. Der Bedarf an gutem und rasch produziertem Holz ging auch auf Kosten der Biodiversität. In den Jahren 1927 und 1931 setzte man deshalb mit den Konferenzen „Wald in Not“ Zeichen gegen die degradierten Waldstandorte. Aufgrund der finanziellen Herausforderungen dieser Zeit war zum Beispiel die Aufrechterhaltung der Schutzwirkung gegen Hochwasser und Lawinen für viele Waldbesitzer:innen nicht machbar.
Die Kriegsjahre folgten. Ab 1939 wurde Holz für militärische Zwecke großflächig genutzt. Die Nachkriegsjahre standen im Zeichen der Ressourcenknappheit und der „Waldreinertragslehre“. Mit dem Forstgesetz 1975 starteten intensive Diskussionen mit den aufkommenden Naturschutzbewegungen über Aufforstung, Baumartenwahl und Mischwald. Ein wichtiges Ereignis war die Österreichische Forsttagung im Jahr 1977 mit der Beteiligung von verschiedenen Akteur:innen.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Auch wenn die Fichte nach wie vor die Hälfte der österreichischen Waldfläche einnimmt (46 %), so ist seit mehr als 40 Jahren ihr deutlicher Rückgang im Wirtschaftswald zu verzeichnen. In den 1980er-Jahren traten Naturschutzaspekte in den Vordergrund, die mit dem Waldsterben infolge der Luftverschmutzung in der forstwirtschaftlichen Planung Berücksichtigung fanden. Der Schutz artenreicher Waldlebensräume wie Auwälder, der Prozessschutz in Schutzwäldern und Förderung der Artenvielfalt in naturnahen Wäldern gehören zu den Sanierungszielen dieser Zeit. In den 1990er-Jahren ging der Trend hin zur Wiederaufforstung mit standortgerechten Baumarten zur Erhaltung multifunktionaler Wälder.
Hin zum klimafitten Wald & Wald der Zukunft
Seit den 2000er-Jahren führen die Auswirkungen des Klimawandels zu einer Trendwende bei der Waldveränderung hin zum „Klimafitten Wald“. Vielfalt hinsichtlich Baumartenwahl, Genetik, Strukturen und Lebensräume steht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dieser Ansatz zielt darauf ab, den Wald besonders auch nach empfindlichen Schadereignissen zu erhalten und die Widerstandsfähigkeit zu fördern. Als Beispiel kann man das Waldviertel nennen, wo klimabedingt 13.000 ha der österreichweit 20.000 ha durch den Borkenkäfer geschädigter Waldfläche unmittelbar aufgeforstet werden mussten, um die wichtigen Leistungen des Waldes nicht zu verlieren.
Der Wald nimmt in Österreich seit vielen Jahrzehnten weiter zu, seit den 1960er-Jahren um die Fläche des Mühlviertels. Dazu noch eine gute Nachricht: Der fürdas Klima und die Biodiversität so wichtige Mischwald nimmt ebenfalls zu. Laut Waldinventur ist die Fläche der in Österreich häufigsten Laubaumart Rotbuche seit 1990 von 309.000 auf 380.000 Hektar gewachsen, ihr Vorrat von 91 Millionen auf 122 Millionen Kubikmeter gestiegen.
31% der Waldfläche Österreichs (12.512km²) sind nach internationalen und europäischen Richtlinien unter Schutz gestellt. Dazu zählen die Naturwaldreservate und Trittsteinbiotope zur Vernetzung von Lebensräumen, Förderung der Artenvielfalt und Erhöhung der Resilienz von Wäldern. Diese Blitzlichter der Geschichte der Forstwirtschaft zeigen, dass sich der Wald und die Herausforderungen nur zum Teil gewandelt haben. In der heutigen Situation ist die Gestaltung des Waldes der Zukunft in Zeiten der Klimakrise die wohl größte Herausforderung. Dazu gibt es forschungsbasierte Vorschläge, die es ermöglichen sollen, diese Zukunft erfolgreich zu gestalten.
Blick auf die Zukunft: Ein Frühwarnsystem für Aliens
Eine der vielen Herausforderungen bei der Gestaltung des klimafitten Waldes ist der Umgang mit invasiven Arten. Unter dem Titel „Wie invasive Arten die Welt verändern“ wurden an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die Ergebnisse des Weltbiodiversitätsrats (IPBS) diskutiert. Katharina Lapin vom BFW war eine der Vortragenden. Folgendes Interview führte die ÖAW mit ihr.
ÖAW: Wie steht es um die Biodiversität in Österreichs Wäldern?
Katharina Lapin: Wir sehen, dass Totholz zunimmt und es immer mehr in Richtung Mischwald geht. Das sind Indikatoren, die sich in eine gute Richtung entwickeln. Gleichzeitig steigt der Druck auf den Wald verstärkt durch den Klimawandel und durch invasive Arten, die immer häufiger auftreten und zunehmend zum Problem werden.
Welche invasiven Arten gibt es?
Es gibt sehr viele aus unterschiedlichen taxonomischen Gruppen. Diese kann man nach ihren Einfluss-Mechanismen unterscheiden, etwa zwischen Schäden, die invasive Arten direkt am Blatt oder im Holz anrichten und solchen, die durch eine ungebremste Ausbreitung die natürliche Verjüngung der Wälder verhindern. Ein prominentes Beispiel ist die amerikanische Eichennetzwanze (Corythucha arcuata), die sich sein 2019 rasch entlang der Autobahnen verbreitet hat – wahrscheinlich waren die Wanzen blinde Passagiere in den Autos und LKWs. Die invasive Baumart Götterbaum (Ailantus altissima) oder die einjährige invasive Pflanze Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera) verändern die Artenzusammensetzung und sogar die Standortbedingungen in Wäldern. Viele Krankheiten werden aber auch durch Pilze ausgelöst, die sich schnell ausbreiten. Vor allem Eschen sind vom Falschen Weißen Stängelbecherchen (Hymenoscyphus fraxineus) stark betroffen. Deshalb versuchen wir in Artenschutzprogrammen Züchtungen zu finden, die ein resistentes Gen in sich tragen.
Welche anderen Mittel gibt es, „die Invasion“ einzubremsen?
Man geht zunehmend weg von der Idee, dass man invasive Arten ganz ausrotten kann. Großflächige Bekämpfungsmaßnahmen, wie man sie sich vor vier, fünf Jahren vielleicht noch vorgestellt hat, sind kaum möglich. Die Entwicklung schreitet so rasant voran, dass man in zahlreichen Fällen gar nicht viel machen kann. Wichtig sind Frühwarnsysteme, um Entwicklungen rechtzeitig wahrzunehmen zu können.
Invasive Arten sind weltweit ein riesiges Problem, deshalb ist ein internationaler Austausch zentral, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Wir kooperieren mit Forschungsstätten aus dem südeuropäischen und osteuropäischen Raum, um zu erfahren, welche Arten sich dort verbreiten und wie sie das machen. So können wir besser abschätzen, was bei uns zu erwarten ist.
Was kann man noch dagegen tun?
Man muss regelmäßig schulen, um invasive Arten rechtzeitig zu erkennen, was natürlich ein finanzielles Problem ist. Man kann in der Waldbewirtschaftung die Lichtverhältnisse so steuern, dass die Goldrute oder das Springkraut sich nicht gut ausbreiten können. Die Verbreitung von invasiven Schadorganismen passiert oft durch Pflanzenmaterial. Wenn man mit Geräten in der Landwirtschaft arbeitet, ist es wichtig, diese entsprechend zu reinigen, damit Samen nicht weiterverbreitet werden. Ich denke, das Bewusstsein in Bereich der Forstwirtschaft dafür ist in den letzten Jahren stark gewachsen.
Wie erkenne ich invasive Arten?
Es gibt mittlerweile sehr gute Apps am Handy, die generell bei der Bestimmung von Arten helfen. Als Laie wird man sich vielleicht wundern, warum Kastanien krebsartige Wucherungen (Cryphonectria parasitica) haben. Es ist auffallend, dass die Eschen zusammenbrechen und absterben. Aber abgesehen von diesen sehr deutlichen Beispielen, die kranken Befall aufzeigen, braucht man eine gewisse Schulung durch Expert:innen, um invasive Arten zu erkennen. Gerade invasive Pflanzen sind meist auffallend schön. Viele von ihnen sind durch den Gartenbau eingeführt worden, aufgrund des Klimawandels breiten sich diese wärmeliebenden Zierpflanzen nun verstärkt in freier Natur aus.