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Wenn Türen klemmen

Immer mehr Risse an Hauswänden haben am Vögelsberg (Tirol) die Alarmglocken schlagen lassen. Sichtbar wurde: Der Hang ist in Bewegung. Veronika Lechner vom BFW arbeitet im Projekt Operandum an einer naturbasierten Lösung.

27. April 2021 um 9 Uhr treffen sich die Wildbachhydrologin Veronika Lechner und der Techniker Klaus Suntinger vom Institut für Naturgefahren des BFW bei der Innsbrucker Hofburg. Coronabedingt, in jeder Reihe darf nur eine Person sitzen, wird mit einem Bus gefahren, hinten drinnen sind schon die drei Container mit Sonden und Messgeräten eingeladen.

Blick in einen Bus, mehrere Container stapeln sich
Aufbruch: In den Containern befinden sich die Sonden.

Erstes Telefonat mit Veronika Lechner aus der Ferne von Schönbrunn: „Das Wetter ist gut, in den letzten Tagen hat es noch geschneit, bin gespannt, wie weit wir raufkommen. Die Messstrecken liegen doch auf zirka 1200 Meter Seehöhe. Wir fahren jetzt. Bis später.“

Rutschung am Vögelsberg

Bei der Rutschung am Vögelsberg handelt es sich um eine so genannte tiefgründige Rutschung. Das bedeutet: Teile eines Hanges oberhalb einer Scherzone, weil sich die geologische Schichtung oder Zusammensetzung ändert, gleiten gravitationsbedingt nach unten. Die Rutschung ist ein stetiger Prozess, lediglich die Bewegungsgeschwindigkeit wird durch das Wasser begünstigt. Wie soll man sich das vorstellen? Der Rutschkörper liegt über einer 50 Meter tiefgelegenen Scherzone. Gelangt viel Wasser in diese Scherzone, wirkt das wie Schmiermittel und der Hang bewegt sich entlang dieser talwärts. Um die Aktivität des Hangrutsches zu reduzieren, muss dieser hydrologische Antrieb durch geeignete Minderungsmaßnahmen im oberen Einzugsgebiet reguliert werden.

Anruf von Veronika Lechner um 10.30 Uhr: „Wir sind jetzt angekommen. Sind, wie erwartet, nicht ganz hingekommen. Es liegt doch noch Schnee am Zufahrtsweg. Unsere Projektpartner vom IGF der PhD Jan Pfeifer und Masterstudent David Reisenauer sind auch schon da. Jetzt werden wir die Container mit der Geoelektikausrüstung rüber zur Versuchsstrecke bringen und einen 40 Meter langen Transekt aufbauen, das ist eine gewisse Anzahl von Messpunkten entlang einer geraden Linie.

Messgerät steht auf Forststraße
Entlang der Versuchsstrecke werden über die 40 Sonden der elektrische Widerstand zwischen diesen gemessen.

Biologisch abbaubare Bentonitmatte wird als undurchlässige Schicht getestet

Am Ende des Transekts steht dann der Messcomputer. In unserem Projekt OPERANDUM wird eine biologisch abbaubare Bentonitmatte als undurchlässige Schicht getestet, die entlang einer Versickerungsstrecke oberhalb des Rutschungsbereichs eingesetzt wird. Ziel ist es, die Infiltration in den Untergrund entlang dieses Abschnittes zu verhindern. Bevor die Bentonitmatte im Herbst 2020 eingelegt wurde, wurden die ersten Messungen gemacht, dies sind unsere Referenzwerte. Die heutigen Aufnahmen sind Wiederholungsmessungen. Jetzt muss ich wieder zu den Kollegen.“

In dieser Studie wird besonderes Augenmerk auf eine naturbasierte Lösung gelegt, um die Auswirkungen von hydro-meteorologischen Naturgefahren zu mindern. Die wichtigsten Vorteile sind: Es werden keine synthetischen Materialien zur Untergrundversiegelung eingesetzt. Das Trägervlies baut sich mit der Zeit ab, die Tonschicht (Bentonit) verbleibt im Untergrund und sorgt für Flüssigkeitsdichtheit. Das lässt sich auch alles leichter umsetzen: Die Matte muss nur abgerollt werden und es muss keine Tonschicht zeitaufwändig aufgebracht werden.

Geoelektrikmessungen

Das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) hat gemeinsam mit der Wildbach- und Lawinenverbauung des forsttechnischen Dienstes (WLV) und der Firma NAUE GmbH&Co KG einen Prototyp einer solchen Bentonitmatte entlang eines 25 Meter langen Abschnittes des Vögelerbaches verlegt und mit einem Monitoring versehen, um die Wirksamkeit zu beurteilen. Vor dem Einbau der Matte wurden vorbereitende Feldmessungen für die Bauarbeiten und die anschließenden Monitoringmessungen durchgeführt. Dazu gehörten Untersuchungen der lokalen Bodeneigenschaften und der Bodentiefe mit dynamischen Drucksondierungen, detaillierte 3D-Punktwolken der Topografie und Vegetationsmerkmale mit einem terrestrischen Laserscanner und Positionsmessungen von Bodenkontrollpunkten mit Hilfe eines differentiellen globalen Navigationssatellitensystems und eben wie an diesem Tag wiederholt die Geoelektrikmessungen.

12 Uhr, Anruf bei Veronika Lechner: „Seid ihr schon beim Messen?“ Veronika Lechner: „Ja, wir haben gerade angefangen. Entlang der Versuchsstrecke messen wir jetzt über die 40 Sonden den elektrischen Widerstand zwischen diesen. Dabei wird von und zu jeder Sonde Strom durchgeschickt, so entsteht ein 2D-Abbild des elektrischen Widerstandes im Untergrund.“

„Ist viel Bodenfeuchte vorhanden (Wasser leitet ja den Strom gut weiter), ist der spezifische Widerstand gering; ist es eher trocken, ist er hoch. Über die Referenzmessungen zu Beginn des Experimentes können wir diese Veränderungen in Bezug auf die Infiltration interpretieren.“

Veronika Lechner, BFW

„Weiters geben uns unterhalb und oberhalb der Bentonitmatte angebrachte Feuchtesensoren Information über die Funktionalität dieser. Ich schicke dir dann noch einen Screenshot von einer Auswertung am Tablet. Ein hoher Widerstand wird in blau dargestellt, ein geringer in Rot. Ich melde mich, wenn wir wieder im Büro sind.“

Blick auf ein Tablett, dort sieht man Felder, die blau, grün oder rot sind
Ein hoher elektrischer Widerstand wird in blau (= wenig Bodenfeuchte) dargestellt, ein geringer in Rot (viel Bodenfeuchte).

Aus Sicht des Umweltschutzes sind nachwachsende Materialien zu bevorzugen

Wenn sich diese naturnahe Lösung bewährt, bietet sie eine Alternative zu grauen Lösungen wie etwa Halbschalen aus Polyethylen, die bisher am Standort zum Sammeln und Ableiten von Oberflächenwasser entlang von Bachabschnitten mit unverfestigtem Bachbett eingesetzt wurden. Das Problem der Polyethylen-Halbschalen: Diese zersetzen sich mit der Zeit und können bei extremen Regenereignissen durch Abflussspitzen beschädigt werden. Auch aus Sicht des Umweltschutzes ist der Einsatz von nachwachsenden Materialien zu bevorzugen. Um die Funktionalität zu gewährleisten, ist es entscheidend, dass die Bentonitmatte in einer ausreichenden Tiefe eingebaut wird, damit das quellende Bentonit die Durchlässigkeit in der gewünschten Weise reduziert.

Letzter Anruf von Veronika Lechner für den heutigen Tag: „Alles gut gegangen, war ein gelungener Außendienst. Und wenn etwas schief läuft, müssen wir halt gut vorbereitet sein. So wie heute. Die Batterie des Messgerätes hat den Geist aufgegeben. Aber wir hatten einen Zusatzakku und Schraubenzieher mit. Und die Messungen bestätigten unsere Erfahrungen aus dem Jahr 2020. Unterhalb der Matte waren damals die Änderungen hauptsächlich positiv, besonders in der Mitte des Abschnitts.

Dies könnte darauf hindeuten, dass die Bodenfeuchte oberhalb der Matte ansteigt, was den elektrischen Widerstand verringert. Im linken Teil des Profilabschnitts bestehen jedoch auch in größerer Tiefe negative Änderungen des elektrischen Widerstands, was auf eine Tiefeninfiltration hinweisen könnte. Sollte sich dieses Muster in zukünftigen Messergebnissen fortsetzen, sollte das Design des Einlasses verbessert werden, um dort eine Infiltration zu verhindern.“

Die Schlussfrage: „Ab welchem Zeitpunkt hat sich die Bevölkerung ernsthafte Sorgen gemacht, dass der Hang in Bewegung sein könnte?“

„Die Haustüren hatten sich teilweise verklemmt. Wenn man durch die Siedlung am Vögelsberg fährt, sieht man Risse in den Hauswänden. Carports sind verzogen. Die Straßen weisen eine wellige Oberfläche auf und müssen jedes Jahr saniert werden.“

Veronika Lechner, BFW

Lechner: „Eigentlich würden in so einem Fall Tiefbrunnen gebohrt werden, um das Wasser aus dem Hang zu holen. Das Problem ist, jedes Haus hat eine eigene Quelle und die Wasserversorgung muss weiterhin gewährleistet werden. Ich denke, wir können mit unseren Arbeiten einen Teil zur Problemlösung beitragen. Schönen Abend noch und nächstes Mal fährst du mit.“