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„Wir sind die digitalen Holzfäller!“

Wolfgang Neubauer

Lichtung besucht Österreichs bedeutenden Archäologen Wolfgang Neubauer und sein 25-köpfiges Team bei Kleinhadersdorf im Weinviertel (NÖ) im Spätsommer 2020. Dort vermutet er eine besondere jungsteinzeitliche Siedlung. Wolfgang Lobisser erklärt im Anschluss, warum wir uns schon immer im Holzzeitalter befinden.

Lichtung: Sie haben in der Archäologie eine neue, nichtinvasive Methodik entwickelt. Welches „Zeug“
sollte man für Innovation und Erfolg mitbringen?
Wolfgang Neubauer: Was mir an der Archäologie so gefallen hat, war die interdisziplinäre Ausrichtung. Dazu machte ich Informatik, weil es diese Kombination damals noch nicht gab. Die Initialzündung dafür kam durch einen damaligen Aushilfslehrer, der nunmehr Professor an der ETH Zürich ist. Er hat uns Mittelschülern erklärt, wie man programmiert. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre meine Karriere ganz anders verlaufen. Der zerstörungsfreien Technik habe ich mich gewidmet, als ich nach Wien gekommen bin. In der Schweiz begann ich bereits im Alter von 15 Jahren mit Grabungen und vier Jahre später war ich Grabungsleiter.

Lichtung: Ein großes Gebiet in der Forstwirtschaft ist die Biodiversität. Hatten die ersten Bauern im Neolithikum, da sie ja Saatgut sammeln und aufbewahren mussten, eine Vorstellung von ihren genetischen Ressourcen?
Wolfgang Neubauer: Die waren essenziell. Hier in dieser Siedlung in Kleinhadersdorf lebten mindestens 100 Leute, die von der Ernte, von den Haustieren und von ihrer wirtschaftlichen Grundlage, den Mühl- und Schleifsteinen dieser Zeit, abhingen. Dadurch hatten sie eine gewisse Sicherheit und einen Vorteil gegenüber anderen, die hier in der Umgebung lebten. Sie hatten etwas, wodurch sie einen Mehrwert produzieren und mit dem sie im Notfall Getreide einkaufen konnten. Das Sichern der Ernte oder das Sichern des Saatguts über den Winter ist ein wesentliches Element. Wenn da etwas passierte mit dem Saatgut, hatte man sofort eine Hungersnot. Es war hier ein relativ eng aufgeschlossenes Gebiet, die nächste Siedlung war etwa acht Kilometer entfernt. Wenn ein kurzfristiges Hagel-Ereignis alles zerstörte, hatte man ein Backup in der nächsten Siedlung. Die Leute in der Steinzeit lebten nicht so, dass sie nicht wussten, wie sie überleben sollten. Die Leute, die hier im Grabfeld bestattet sind, haben Schmuck mit Muscheln aus dem Mittelmeer. Sie hatten Kontakte über ganz Europa. Es war nicht so, dass Leute hier in Erdlöchern saßen und in ihrem Fell die Läuse kratzten.

Lichtung: Wie sah es hier zu dieser Zeit landschaftlich aus? Welche Getreidesorten gab es?
Wolfgang Neubauer: Es gab früher noch mehr Eichen hier und der Wald war schon damals nicht sehr dicht. Durch zunehmende Nutzung wurde der Wald noch lichter. Buschwerk wie Hasel und Brombeeren lieferten wichtige Nahrung. Landwirtschaftlich gab es Einkorn, Dinkel, Emmer. Diese Sorten wurden aus Vorderasien mitgebracht und haben sich hier sehr langsam ausgebreitet. Das ganze beginnt in etwa um 8500 v. Chr. Hier an diesen Ort kommen sie spätestens 5300 v.Chr. an. Normalerweise wurden diese Lössflächen besiedelt, weil diese leicht zu bearbeiten und fruchtbar waren.

Lichtung: Archäologie hat immer etwas mit dem Zerstören zu tun. Ist die nichtinvasive Methode Ihr Erfolgsfaktor?
Wolfgang Neubauer: Wir haben hier in Kleinhadersdorf eine offene Grabungsfläche von 1000 Quadratmetern. Um das hier zu untersuchen brauchen wir vier Wochen mit 25 Leuten. Wir haben vorher das ganze Feld mit drei Leuten gemessen auf einer Fläche von 20 Hektar. Das hat drei Tage gedauert. Das ist der Unterschied. Wir sehen mit dieser Technik alle 32 Häuser, die hier noch vergraben sind. Das sind wahrscheinlich die besterhaltenen Häuser aus dieser Zeit. Zusätzlich wissen wir, dass weiter hinten das älteste Gräberfeld Österreichs liegt. Wir sind hier ganz am Anfang der Sesshaftwerdung der Bauern. Der Grund, warum wir hier forschen ist, dass wir die wirtschaftliche Grundlage dieser Siedlung kennen. Diese weißen Steine, die hier überall herumliegen, sind Rohmaterial für Mühl- und Schleifsteine. Außerdem gibt es hier über den Häusern ein mächtiges Kolluvium (=Ablagerung). Das heißt, wir haben hier eine bisher noch nie dagewesene Erhaltung.

Lichtung: Sie bezeichnen sich als digitalen Holzfäller. Warum?
Wolfgang Neubauer: Wir machen jetzt mit einer Drohne eine Pilotstudie, in der wir einen gesamten Baum monitoren wollen. Wir möchten den Baum nicht ausgraben, sondern den Wurzelstock auflösen. Uns interessiert die Wurzel, damit man sie quasi rausrechnen kann. Wurzeln sind im gesamten Erdreich und „verdecken“ unsere Forschungsobjekte. Vor etwa 14 Jahren wollten wir wissen, was es im Leithagebirge im Wald gibt und haben das Gebiet mit einem Airborne Laserscanner überflogen. Wir haben in diesem Esterházy-Jagdgebiet 250 Fundstellen entdeckt. Da waren zum Beispiel bronzezeitliche Hügelgräberfelder dabei. Mit diesem Projekt haben wir begonnen, digital Holz zu fällen.

Lichtung: In der Forstwirtschaft gibt es Szenarien. Welche Rolle spielen sie in der Archäologie?
Wolfgang Neubauer: Für uns sind Szenarien wesentlich. Wir messen ganze Landschaften, um festzulegen, wo später Grabungen stattfinden sollen. Hier unten gibt es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir viel organisches Material finden werden – sowohl Pollen als auch Holzreste. Mit den Pflanzenresten hat man die Grundlage, die Umwelt zu rekonstruieren. Das ist eine ganz wesentliche Szene für uns. Inwiefern wurde wie auf die Umwelt eingewirkt? Was haben wir plötzlich für „Sachen“, die eigentlich nur über den anthropogenen Einfluss ihren Standort haben und sonst gar nicht hier wachsen würden. Es geht nicht nur um die Häuser, sondern es geht auch darum, die Landschaft zu rekonstruieren. Diese Daten gibt es aus unterschiedlichen Quellen.
Wann war es wärmer, wann kälter, wann nässer? Das wissen wir auch über die Dendrochronologie. Die Jahresringe von Bäumen beinhalten nicht nur die Zeit, sondern auch andere Parameter. Das sind für uns wesentliche Daten.

Lichtung: Sollte man Fragen aus der Vergangenheit mit der Gegenwart konfrontiert?
Wolfgang Neubauer: Wenn unsere Forschung keinen Impact auf die Gesellschaft hat, dann ist sie sinnlos. Dass die Menschen vor 5300 Jahren Landwirtschaft begonnen haben in einer Region, die immer noch darauf beruht, das interessiert die Leute. Das ist etwas, was Identität stiftet und Halt gibt.

Zur Person: Wolfgang Neubauer ist in der Schweiz aufgewachsen und studierte Archäologe und Mathematik an der Universität Wien. Der Vater von fünf Kindern ist Direktor des Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie des Ludwig-Boltzmann-Instituts in Wien. Seine internationalen Einsätze reichen von Forschungsstätten wie Stonehenge, Giseh und Carnuntum, ja selbst bis Hawaii oder nach China uvm. Die nächste Vision: Unterwasserarchäologie in einer bisher nicht gekannten Auflösung.

https://archpro.lbg.ac.at und www.celtovation.at

„Der Faustkeil hat das erfolgreichste Industriedesign aller Zeiten” – eine Werkzeugschau mit Wolfgang Lobisser

In der experimentellen Archäologie geht es darum, Dinge nachzubilden, sie zu verwenden und sie im Sinne der Sache zu verstehen, indem man es wieder betreibt. So beschreibt Wolfgang Lobisser den „Urgeist“ seiner Disziplin. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Arbeit ist, eine dokumentierte Datenbasis zu erzeugen, die man in jedem Stadium der Fertigung mit den Originalfunden vergleichen kann. „Wir erreichen keine Beweise, aber wir kommen sehr knapp an die Lebenswirklichkeit der Menschen heran. Ich sag immer ich bin kein Schreibtischtäter, sondern wirklich einer“, scherzt er. Ein Rohmaterial, ohne das Europa nicht hätte besiedelt werden können ist der Feuerstein und damit die Beherrschung des Feuers. Wolfgang Lobisser legt nacheinander seine selbst hergestellten prähistorischen Werkzeuge auf den Tisch. „Ich habe ein paar Geräte aus Feuerstein, wie sie von den Bauern des Neolithikums verwendet wurden. Die Technik hat sich vom Paläolithikum bis zu den ersten Bauern nur sehr langsam verändert“, ergänzt er. Das beste Beispiel ist der klassische Faustkeil des Alt- und Mittelpaläolithikums aus Feuerstein. „Er hat das erfolgreichste Industriedesign aller Zeiten, denn er bewährte sich über 500.000 Jahre hinweg. Zeigen Sie mir ein Gerät, das bereits schon so lange in Verwendung ist. Nicht einmal die Büroklammer wird das schaffen“, sagt er lachen

Vorbilder für den Werkzeugbau | Am Beginn des Neolithikums (5500 v. Chr.) besiedeln die ersten Bauern mit geschliffenen Steingeräten aus zähen Grüngesteinen wie Serpentinit oder Amphibolit die mitteleuropäischen Waldgebiete und müssen damit Eichen von bis zu 1,5 Meter Durchmesser fällen. Am Anfang des Neolithikums ist das eine reine Dechselkultur, das heißt die Klingenschneiden werden durch die Bank quer zum Schaft geführt. Das ist vergleichbar mit Spechtschnäbeln, mit denen die Tiere sehr tief und weit ins Bauminnere eindringen können. „Wenn ein Specht ein Loch machen kann und der Biber Bäume fällen kann, dann kann das der Mensch auch. Man baut sich Werkzeuge, mit dem man das quasi nachmachen kann“, resümiert er. Die klassische Axt ist im Jungneolithikum entstanden. Dahinter steckt die Veränderung des Waldbildes durch menschlichen Einfluss. Während der Linearbandkeramiker (5500-4800 v.Chr.) noch diese mächtigen Eichen fällen musste, sind für einen Jungneolithiker solche Eichen nur noch selten vorhanden, da der Wald bereits sekundär und mehrfach nachgewachsen ist. Der Mensch hatte schon damals vieles verändert. Da das Neolithikum noch kein Metall kannte, kommt die Technologie des Sägens erst mit der Bronzezeit. „Für Holz wird sie erst bei den späten Kelten und bei den Römern relevant, im frühen Mittelalter dann wieder weniger und dann so richtig im Hochmittelalter“, skizziert er. Die Römer dürften die ersten gewesen sein, die Holz längs zur Faser gesägt haben. Davor wurde Holz ausschließlich in Längsrichtung der Fasern gespalten.

Hilfsmittel zum Überleben | Der Mensch im Neolithikum lernt durch Erfahrung. Er hat viele Baumarten zur Verfügung – Eiche, Linde, Ahorn, Esche, Erle, Birke, Weide und Hasel, zu deren Qualitäten er viel Wissen sammelt. Er fertigt bereits feinere Werkzeuge an, wie zum Beispiel scharfe Stemmknochen von Kuh oder Wild, um Holz zu bearbeiten. Das Bindematerial der Urgeschichte ist der Lindenbast. Dieser ergibt eine Schnur, die aus der Faserschicht zwischen Borke und dem letztem Jahresring gedreht wird. Die Bastschichten von Ulme und Linde haben lange Fasern und sind stabil. Der erste Klebstoff der Steinzeit kommt von der Borke der Birke. Was die Rolle des Holzes in der Geschichte der Menschheit betrifft, sagt er, dass es der mit Abstand meistgenutzte Rohstoff ist, ohne den wir gar nicht denkbar wären. „Wir sprechen von der Stein-, Bronze- und Eisenzeit? In Wirklichkeit war es immer eine Holzzeit!“

Wolfgang Lobisser zeigt seine prähistorischen Werkzeuge, die er selbst rekonstruiert hat