Skip to content
CLICK TO ENTER

„Wenn man etwas wirklich möchte, dann kommt es meistens auch!“

Eva Schernhammer ist eine gefragte Epidemiologin. Im Gespräch mit der Lichtung verrät sie, worauf es bei der
Gesundheitsprävention ankommt und warum man für etwas brennen muss.

Lichtung: Wie denken Sie über den Wald als Ort der Erholung?
Eva Schernhammer: Ich könnte dem schon etwas abgewinnen. Man muss aber vorsichtig sein. Wäre es jetzt so, dass jeder in den Wald gehen müsste, um Krankheiten zu verhindern, stellen Sie sich vor, was das für eine Katastrophe für unsere Wälder wäre! Ich glaube, das ist nicht der Punkt. Was mache ich denn, wenn ich in den Wald gehe? Erstens einmal nehme ich mich raus aus der Arbeit. Das bedeutet weniger Stress. Zweitens bin ich an der frischen Luft. Air Pollution ist ein bekannter Risikofaktor für viele Dinge inklusive Sterblichkeit. Drittens mache ich Bewegung. Sie ist nachgewiesenermaßen gut. Wenn ich das regelmäßig mache, egal wo, sagen wir im Wald, dann habe ich schon einmal was wirklich Gutes für meine Gesundheit gemacht. Viertens nehme ich mich raus aus meinem privaten Alltag und kann neue Inspiration gewinnen. Wellbeing kann ich steigern, wenn ich einfach nur ins Grüne schaue oder die Natur beobachte. Im Wald ist es stiller und das Licht im Freien ist gesund. Man schläft tatsächlich besser, wenn man einen guten Licht-Stimulus untertags hat. Schummriges Bürolicht genügt für unsere biologische Uhr nicht. Wir brauchen auch einmal ein richtiges Außenlicht. Man kann das pulsartig setzen. Zwei bis drei Mal im Jahr sich die Zeit nehmen und versuchen, gesund zu leben, wo man all diese Aspekte intensiv beachtet und damit den Körper wieder auf die richtige Schiene bringt – das wäre ein guter Ansatz.

Was schätzen Sie am Wald?
Ich habe in den letzten zwei, drei Jahren den Wald für mich entdeckt. Ich bin genauso gerne anderswo. Ich
kann mir vorstellen, dass es von Mensch zu Mensch Unterschiede gibt. Vielleicht gibt es den Waldtypen, Menschen, denen der Wald besonders guttut. Der Wald ist sehr trostspendend, weil er einen eingrenzt. Wenn man durchgeht, fühlt man sich aufgefangen. Ich kann mir gut vorstellen, dass man das besonders braucht, wenn man eine schmerzvolle Lebensphase durchmacht.

Aus ihrer Erfahrung in der Arbeit mit Krebs: Welche persönlichen Mechanismen braucht man, um mit dem Thema schwere Krankheit umzugehen?
Da spielt wohl auch die Genetik eine Rolle, aber ansonsten Resilienz (= Widerstandskraft), ein positiver Ausblick auf das Leben. Die Kunst ist es, sein Augenmerk immer mehr auf die positiven Dinge zu richten, da das Verharren in negativen Gedanken gar nichts bringt.

Was würden Sie als Erstes im Sinne einer Krebsprävention ändern?
Ein paar sehr simple Dinge könnten 80 Prozent aller Krebsfälle verhindern. Das ist ein gesunder Lebensstil.
Nicht mehr rauchen, Bewegung machen, es genügt sehr wenig, zum Teil sind das 20 bis 30 Minuten gehen am Tag. Und das Gewicht kontrollieren, schauen, dass man nicht zunimmt. Da finde ich, sind auch Eltern in der Pflicht, Bewusstsein für ihre Kinder zu entwickeln. Man hängt ihnen sonst eine Bürde für den Rest ihres Lebens um. Obesity (Anmerkung: krankhaftes Übergewicht) ist eine Pandemie in anderer Form. Sport wird immer weniger, wir sitzen hauptsächlich in unseren Berufen. Insgesamt ist es nicht so leicht für die Menschen, Sport in ihren Alltag zu integrieren. Ich finde Wellbeing im Sinne eines gesunden Geistes sehr wichtig. Warum sind Menschen lethargisch und sitzen vor dem Fernseher? Ein Geist, der ermüdet ist oder der in Richtung depressive Schwankungen geht, macht es schwer, das Richtige zu tun. Wenn man sportelt, dann hebt das auch die Stimmung. Ich glaube, dass das alles zusammenspielt und deswegen fällt mir auch der Spruch ‚mens sana in corpore sano‘ so gut, weil es wahr ist: Ein gesunder Geist braucht einen gesunden Körper.

Von welcher Disziplin möchten Sie gerne mehr erfahren? Wo sehen Sie die Chancen von transdisziplinären Teams?
Transdisziplinäre Teams finde ich extrem spannend, weil das auch den/die Praktiker*in mit an Bord bringt.
In der Wissenschaft möchte ich wissen, was sagt die Lehrerin, die direkt mit den Schülern zu tun hat? Was kann sie aus der Praxis berichten? Man möchte nicht nur eine ‚kleine Wissenschaft‘ betreiben, man möchte dazu beitragen, dass diese Welt ein gesunder und lebenswerter Ort bleiben kann. Das geht besser, wenn man systemischer denkt. Das kann man am besten, indem man mit Generalistinnen spricht, die auch danach streben, dass sie viel Wissen aus verschiedenen Fachbereichen zusammentragen, indem man sich mit vielen verschiedenen Fachexperten austauscht.

Mit welcher Fachexpertise würden Sie sich am liebsten als nächstes austauschen?
Nachdem mich das menschliche Verhalten extrem interessiert, das ja auch wichtig für ein gesundes Leben ist und das menschliche Verhalten mir oft ein Mysterium bleibt, würde ich gerne mit Philosophen oder Theologinnen sprechen, Menschen, die vom Gesamtkonzept beleuchten können, warum – auch aus der Geschichte heraus betrachtet – Menschen wie agiert haben, in welche Prinzipien sie ihre Ideen eingebettet haben, in denen Handlungen gesetzt wurden.

Wie unterschiedlich ist der Arbeitsalltag von Onkologie und Epidemiologie?
Das ist wie Tag und Nacht! Ich bin in alles relativ unvorbereitet hineingestürzt. Die Epidemiologie ist fast mein zweiter Karriereweg, weil ich schon sehr fortgeschritten in der Medizin war. Nachdem es in meiner Familie vorher keine Ärzte und sonst keine Akademiker gab, war mein Medizinstudium getrieben von dem Wunsch, Krebs zu heilen. Aber dann war bald klar, dass Nachtdienste extrem kräfteraubend sind. Ich habe sieben Jahre lang im Spital gearbeitet. Das war noch vor der Arbeitszeitregelung mit bis zu 100 Stunden in der Woche, wenn man zwei, drei Nachtdienste machte. Das schafft man als junger Mensch.

„Warum sind Menschen lethargisch und sitzen vor dem Fernseher? Ein Geist, der ermüdet ist (…), macht es schwer, das Richtige zu tun.“

Univ. Prof. Dr. Eva Schernhammer, Epidemiologin und Onkologin

Genauso war es mit der Wissenschaft, in die ich quasi durch Zufall hineingeraten bin. Da gab es einen Kurs für Krebsprävention, den mir ein Kollege empfohlen hatte. Dort habe ich die Welt der Wissenschaft entdeckt. Ich hatte ja auch gar keine Vorstellung, wie das ist. Ich war der Meinung, dass das dazugehört, um den Weg in Richtung Krebsheilung zu beschreiten. Nur ging das eben nicht so gut. Ich war ja im Gemeindespital angestellt. Da liegt der primäre Fokus nicht auf Wissenschaft, sondern Patientenbetreuung. Im AKH wird auch die Wissenschaft gefördert. In Amerika bin ich in die Wissenschaftsschiene geraten, die mir sehr gefallen hat, vor allem was diese offenen, in die Zukunft gerichteten Fragestellungen betrifft. Bei uns würde man sofort sagen, nein, das kommt bei uns nicht infrage. Dort ist es so, aha, interessant, ja bitte. Das war sehr erfrischend für mich. Ich hatte in der klinischen Zeit immer wieder das Gefühl, es legt mir jemand Bremsklötze in den Weg. Ich wollte nicht zwei Jahre auf den Turnus warten. Ich wollte nicht drei Jahre auf die Facharztausbildung warten. Ich wollte das alles viel schneller machen. Das war nicht möglich. In Amerika, ohne Beziehungen, war es plötzlich möglich. Wir haben nur ein Leben und wenn man den Drang in sich spürt, etwas zu tun, möchte man nicht dauernd warten. Man möchte es tun.

Sie sind per Zufall auf den Zusammenhang von Krebs und Nachtdiensten gestoßen (Link siehe Tipps). Wann kommen Ihre genialen Gedanken?
Geniale Gedanken kommen, wenn man es schafft, sich ein paar Stunden Auszeit zu nehmen; in der Natur, im Gespräch, mit meinem Partner – Inspiration und Gedanken freien Lauf zu lassen. Für mich bedeutet genial, in welche Richtung ich selbst gehen möchte und wo ich den größten Beitrag dafür leisten kann. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Tieren liegt mir schon lange am Herzen. Es ist mir jetzt gelungen, in Amerika ein großes Projekt an Land zu ziehen, in dem ich mich beschäftigen darf, welchen Einfluss Haustiere auf die mentale Gesundheit von Menschen haben. Es ist eine prospektive Kohortenstudie mit Biomarkern und Mikrobiom im Stuhl, eine abgerundete Studie mit einem wirklich tollen Design. Das finde ich im Nachhinein genial. Wenn man etwas wirklich möchte, dann kommt das meistens auch, davon bin ich überzeugt.

Haben Sie selbst ein Haustier?
Derzeit nicht. Aber ich hatte eins, das mich sehr geprägt hat. Das war die Tutschi. Ich war damals 20 und sie saß in einer Tierhandlung in der Auslage. Das gab es damals noch. Es war eine Spontanentscheidung, der Hund hat mich angeschaut, Sie wissen vielleicht, wie das ist. Vollkommen unüberlegt, einfach rein. Der Hund hat mich wirklich geprägt.

Die Genialität kommt also auch aus einer persönlichen Leidenschaft heraus?
Es muss etwas brennen dafür. Am ehesten noch im privaten Umfeld, dort lässt man seinen Geist schwingen und spricht über Dinge, die verrückt sind, oder mit sich alleine – im Wald zum Beispiel.

Haben Sie für uns Empfehlungen aus dem Lockdown?
Ich lese mit Leidenschaft Biografien und schau mir an, wie inspirierende Menschen ihr Leben geführt haben. Wenn man in seinem Umfeld ein lebendes Vorbild hat, umso besser, dann würde ich mich mit dem unterhalten – in dem Sinne, wie ist dein Leben bis jetzt gewesen? Eine Biografie, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, ist die von Gustav Mahler. Er hat mich als Mensch unheimlich beeindruckt und tut es weiterhin – auch seine Sensibilität und Zwiespälte, die in seiner Musik Ausdruck finden. Er war so ein umfassend gebildeter Mensch und sehr sportlich. Eines der ersten Fahrräder in Österreich war seines. Er liegt am Hietzinger Friedhof begraben.

Mit einem anderen Zwiespalt heißt es auch umzugehen, und zwar ist das das Thema Gendern. Welche Bedeutung hat es aus der Sicht einer Epidemiologin?
Im englischen Sprachraum gibt es das zum Glück nicht. Ich bin vor fünf Jahren zurückgekommen und
mich hat es voll erwischt mit den verschiedenen Begrifflichkeiten. Ich weiß, es hat seine Notwendigkeit. Ich bin nicht überzeugt davon, ob es der richtige Weg ist. Der Unterschied als Frau in Amerika und in Österreich ist phänomenal anders. Ich bin aus der klinischen Welt gekommen. Die Patienten haben zu mir oft Krankenschwester gesagt. Man ist jung, Frau, ich glaube, das ist immer noch so. Auch die Kollegen waren sehr anders. Charmant würde ich sagen, wenn ich es nett formulieren will, aber auf jeden Fall war dir sehr häufig bewusst, dass du eine Frau bist. In Amerika wirst du behandelt wie ein Neutrum. Das ist extrem entlastend. Am Anfang kann man es gar nicht glauben, und dann gewöhnt man sich daran. Der Kulturschock kommt, wenn man zurückgeht. Österreich hat sich aber gebessert.

Zur Person
Eva Schernhammer ist Universitätsprofessorin für Epidemiologie an der Universität für Medizin in Wien. Sie hat Medizin und Psychologie in Wien studiert und sich auf Onkologie spezialisiert. In den USA folgte ein Studium der Epidemiologie und Public Health. Gemeinsam mit ihrem Partner und Ökonomen Gerald Steiner (Donau-Universität Krems) hat sie in der Covid-19-Krise eine ‚Corona-Task-Force‘ gegründet, wo sie auf internationaler Ebene einen Disziplinen übergreifenden Austausch pflegt. Sie war als Kind viel mit ihrem Vater in den Fichtenwäldern Oberösterreichs unterwegs. Die Kühle, den Duft und die Stille von Nadelwäldern schätzt sie daher besonders.

Lesetipps

Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein: Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Ullstein Verlag, 2010.
Jens M. Fischer: Gustav Mahler. Yale University Press, 2003.


Linktipp
Zusammenhang zwischen Lichtmangel und Krebserkrankung, ein weiteres Interview mit Eva
Schernhammer: www.femtech.at/user/11593