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Vom Wind verweht

Landwirtschaftlich genutzte Böden sind durch Winderosion gefährdet. Ein BFW-Team arbeitet im Rahmen von EROWIN daran, das Wissen dazu zu erhöhen.

Unter trendigen Bezeichnungen wie Urban Gardening oder Guerilla Gardening findet die Beschäftigung mit dem Anbau von Nahrungsmitteln den Weg in eine breite Öffentlichkeit. Eines der wohl beeindruckendsten Beispiele liefert Ron Finley, dessen Initiative in der Megacity Los Angeles arm und reich zusammenbringt, um ungenutzte Flächen zu bepflanzen. Mit Sprüchen wie „Planting your own food is like printing money“ oder „Compost is one of the sexiest things on earth“ nimmt er dem Kleingärntnern das muffige Image. Das Potenzial ist groß, auch in Europa und Österreich – wer hat nicht im Corona-Lockdown das Verlangen nach dem eigenen Garten gespürt?

Es geht um unsere Ernährungssicherheit

Die Grundversorgung kommt nach wie vor aus dem professionellen Ackerbau. Wie ist es um die Böden bestellt, wo solch intensive Landwirtschaft passiert, um Ernährungssicherheit zu garantieren? Die FAO hat die weltweit größten Bedrohungen für die Ressource Boden im Jahr des Bodens 2015 beschrieben und Versiegelung und Erosion als die schwerwiegendsten ausgewiesen. Der Flächenverbrauch in Österreich ist seit 2014 erstmals wieder ansteigend und liegt bei 48 km² für 2019 (Umweltbundesamt). Das entspricht der Fläche von Wels. Flächenverbrauch meint etwa Verbauung und Versiegelung für Wohnbau und Straßen, aber auch intensive Nutzungen für Ernährung, Erholung, Deponien, Abbauflächen und Kraftwerksanlagen. Österreich ist damit in der EU nicht allein.

Schon die Jugend wird für das Thema Boden sensibilisiert

Landwirtschaftliche Böden am BFW

Ein großes Kompetenzfeld in Sachen landwirtschaftlich genutzte Böden kam im Jahr 2002 an das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW). Das Institut für Waldökologie und Boden, das seinen Forschungsschwerpunkt auf Waldböden hat, konnte mit dieser Ressource eine Reihe von Projekten nun auch im Bereich Landwirtschaft durchführen, etwa um Richtlinien für den effizienten Gebrauch von Dünger zu erarbeiten oder um zunehmende Trockenheit und Wasserverbrauch zu modellieren. Durch die Partnerschaft mit allen relevanten Organisationen konnte man sich ein Netzwerk („Boden macht Schule“) aufbauen, um die Bedeutung von Boden zu vermitteln.

Mit dem im Rahmen des ACRP (Austrian Climate Research Program) geförderten Projekt EROWIN hat nun auch die landwirtschaftliche Erosionsforschung Einzug gehalten. Das Projektteam unter der Leitung von Kerstin Michel ist damit beschäftigt, die Bedeutung von Winderosion im Osten Österreichs zu eruieren.

Wurzeln der Forschung

Bodenerosion kann durch Wasser erfolgen, aber auch durch Wind. Der Verlust von fruchtbarem Bodenmaterial hat nicht nur negativen Einfluss auf den Kohlenstoffvorrat, die Wasserspeicher-Kapazität und den Nährstoffgehalt, sondern auch auf die Biodiversität und den pflanzlichen Ertrag. Das wichtige Porensystem verliert seine Stabilität, der Boden verdichtet und kann seine wichtigen Leistungen nicht mehr erfüllen. Für die Wirkung von Wasser ist die wissenschaftliche Datenlage gut.
Warum Winderosion bisher wenig erforscht wurde, liegt an den räumlichen Schwierigkeiten, den Verlust von Boden zu quantifizieren.


„Die Windgeschwindigkeit lässt sich leicht messen, die Effekte im Alltag sind aber nicht gut sichtbar. Wassererosion hingegen hinterlässt Rinnen, Verschlämmungen am Feld oder Dreck in Straßen und Kellern.“

Kerstin Michel, BFW

Impulse für das Forschungsdesign kamen vom National Wind Erosion Research Network in den USA, wo es etliche standardisierte Messflächen gibt. Die Forschung dort ist sehr motiviert. Ihre historischen Wurzeln liegen in der Dust Bowl. Der Begriff steht für die Ebenen des mittleren Westens, die in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts durch Dürre und intensive Bewirtschaftung massiver Winderosion ausgesetzt waren, was in der Folge zu großer Armut führte.

Die Messstationen sind etwa einen Meter hoch. Fixe sind zufällig auf dem Feld verteilt, die mit Flügeln dienen der vergleichenden Messung. Diese Behälter haben die Aufgabe, in verschiedenen Höhen den abgewehten Boden aufzufangen.

Was EROWIN macht

Es ist eines der trockensten und am intensivsten genutzten Anbaugebiete Österreichs, die das Team analysiert: Auf zwei Äckern im Marchfeld sind meteorologische Messgeräte und Sedimentfallen installiert. Diese Fallen haben die Aufgabe, in verschiedenen Höhen den abgewehten Boden aufzufangen. Alle zwei bis drei Wochen wird dieses Material im Labor genau gewogen. Auf Grundlage dieser Messungen rechnet das Team die Verlagerung von Boden für eine größere Fläche hoch. Außerdem werden Beobachtungen zum Mikroklima und Bodenwasserhaushalt in der Nähe von ökologischen Windschutz­streifen durchgeführt.

Seit Jahrhunderten werden solche Windschutzgürtel in der Region eingesetzt, aufgrund der Entwicklung zu immer größeren Ackerflächen sinkt deren Zahl jedoch. Ein Leitfaden für die Agrarbezirksbehörde soll aktualisiert werden, der berät, wie man nachhaltig Windschutzgürtel anlegt und pflegt. Wind, Trockenheit und ausgelaugte Böden machen den Bäumen das Leben schwer, man spricht auch in diesem Gebiet von der unteren Waldgrenze.

Ein weiteres Ziel des Projekts ist, eine Karte des Erosionsrisikos für das südöstliche Weinviertel zu modellieren – die Faktoren: Bodendaten (ebod, bodenkarte.at), Datenreihen zur Windgeschwindigkeit und -richtung sowie das Netzwerk aus Windschutzgürteln.

Europa im Blick

Es sind vor allem die sandreicheren Böden in Europa, die großflächig durch Wind gefährdet sind. Also der Sandergürtel des skandinavischen Eisschildes in Polen, Norddeutschland, Dänemark, Nordost-Frankreich, aber auch die pannonische Ebene in der Slowakei, Ungarn und Rumänien.

Die akademische Bodenkunde-Gemeinde trifft sich regelmäßig bei der EuroSoil. 2020 hätte sie in Genf stattgefunden, wegen Covid ist sie auf 2021 verschoben. Die Degradation, also der laufende Verlust an Leistungsfähigkeit von Böden, wird dort zusammen mit Strategien der Kommunikation von Forschungsergebnissen ein Schwerpunkt sein. Souveräne Redner wie Ron Finley wären hervorragende Kommunikatoren, die kulturelle und soziale Barrieren auf diesem Feld überwinden könnten. Andere Bereiche der Bodenforschung setzen auf Serious Gaming als Tool für breitenwirksame Kommunikation. Ob es auch einmal eins zum Thema Flächenverbrauch und Winderosion geben wird?