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Neuer Frühwarnsystem-Prototyp für Murereignisse verfügbar

Muren treten plötzlich und meist unvorhersehbar auf, wobei sie hohe Geschwindigkeiten und enorme Kräfte entwickeln können. Rechtzeitige Warnungen sind wichtig, um erfolgreich Maßnahmen zum Schutz von Leib und Leben ergreifen zu können. Der neue Prototyp des Muren-Frühwarnsystems INADEF ermöglicht Vorwarnzeiten im Stundenbereich. 

Ziel von INADEF 

Durch die sich im Zuge des Klimawandels ändernden Rahmenbedingungen sowie wirtschaftlichen Überlegungen gewinnen temporäre Maßnahmen wie Straßensperren oder Evakuierungen an Bedeutung. Voraussetzung dafür sind rechtzeitige und verlässliche Vorwarnungen. Das Ziel des Projektes INADEF (Innovative Nowcasting based early wArning system for DEbris Flow events, INTERREG ITAT3035) war dementsprechend die Entwicklung eines Muren-Frühwarnsystems, das Vorwarnungen im Stundenbereich ermöglicht. Der Prototyp kann eine kostengünstige und die Landschaft minimal beeinträchtigende Alternative oder eine Ergänzung zu technischen Verbauungen sein. 

Die Idee 

Die Grundidee von INADEF basiert auf der Kombination von bereits bestehenden, erprobten Ansätzen, die adaptiert und auf einer WEB-GIS Plattform (Entwicklung und Betreuung Univ. Udine) miteinander gekoppelt werden (Abb.1). 

Die Grundidee von INADEF basiert auf der Kombination von bereits bestehenden, erprobten Ansätzen, die adaptiert und auf einer WEB-GIS Plattform (Entwicklung und Betreuung Univ. Udine) miteinander gekoppelt werden (Abb.1). 

Muren werden im Alpenraum überwiegend von intensiven, oft kleinräumigen Niederschlagsereignissen ausgelöst. Deren räumliche und zeitliche Prognose liefert ein externes Kurzfristprognosemodell (z.B. INCA der ZAMG). Gemeinsam mit spezifischen Gebietsinformationen wie Infiltrationseigenschaften und Oberflächenrauigkeit sind sie Input für die Niederschlags-Abflussmodellierung. Diese erfolgt mit einer, in ein WebGIS implementierten, adaptierten Version des am BFW entwickelten, praxiserprobten Modelles ZEMOKOST. Die binnen Sekunden ermittelten Abflusshydrographen speisen gemeinsam mit zusätzlichen Informationen zum Gerinne ein numerisches Modell der Universität Padua, dass berechnet, ob mit einem Murgang zu rechnen ist. Ist dies der Fall, so werden auch der Murhydrograph und das Volumen des Murgangs abgeschätzt. Werden festzulegende Grenzwerte überschritten, so ist eine Verständigung der Verantwortlichen z.B. via Email möglich. 

Unsere Testgebiete 

Die Testung und Bewertung des Prototyps erfolgt auf Basis aufgezeichneter oder dokumentierter Ereignisse in den fünf Testgebieten in Italien und Österreich (Abb. 2). In allen Gebieten kam und kommt es immer wieder zu Murgängen. 

Abbildung 2: Die Testgebiete (v.l.n.r.): Bettelwurfgraben (Halltal, T), Gröbentalbach (Stubaital, T), Rio Moscardo (Friaul-Julisch Venetien), Rovina di Cancia (Belluno), Rio Rudan (Belluno) 

In allen Gebieten gibt es eine optische Murüberwachung, die um meteorologische Daten und ereignisinduzierte Befliegungen ergänzt wird. So konnten z.B. die Auslösefaktoren eines (relativ kleinen) Murereignisses (Bettelwurf, 11.7.2022) aufgezeichnet (Abb. 3) und die Erosions- und Depositionsbereiche ermittelt werden. (Abb. 4).  

Abbildung 3: Niederschlagsaufzeichnung am Bettelwurf, um den 11.7.2021 
Abbildung 4: Massendifferenzen (Murgang Bettelwurf 11.7.2022), Gesamtvolumen ca. 5400 m³ 

Wie gut funktioniert der Prototyp? 

Für die Evaluierung wurden Datensätze zwischen 2010 und 2020 (11 Jahre) herangezogen. Die registrierten und/oder dokumentierten Ereignisse wurden mit den Modellergebnissen verglichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aufzeichnungen unterschiedliche Qualität haben, so sind sie z.B. im Testgebiet Bettelwurfmure mit großer Wahrscheinlichkeit unvollständig, insbesondere kleinere Ereignisse wurden häufig nicht dokumentiert. Es wurden für alle Gebiete insgesamt neun Niederschlags-Szenarien auf Basis der INCA-Niederschlagsprognosen durchgerechnet und überprüft. 

Die Resultate wurden zwecks Vergleichbarkeit mit verschiedenen statistischen Verfahren analysiert wie z.B. der Methode nach Landis and Koch, 1977 (Cohens Kappa). Dabei können die (häufigen) zufällig richtigen Vorhersagen herausgefiltert und die Qualität der Vorhersagen bewertet werden (Abb. 5). 

Abbildung 5: Cohens Kappa für alle Niederschlagsszenarien und Gebiete (<=0 no agreement, >0,81-1 perfect), Qualität der Ereignisprognosen, beste Werte grün hinterlegt 

Die statistischen Methoden wurden um Einzelereignisanalysen ergänzt. Insgesamt schwankt die vom Prototyp erreichte Prognosequalität sowohl zwischen den gewählten Szenarien als auch zwischen den Gebieten erheblich. Während sie im Gröbentalbach und Cancia gut war, ist sie besonders im Rio Rudan wenig befriedigend.   

Conclusio 

Zusammenfassend wird festgestellt, dass der Prototyp das Potenzial hat, hochwertige Murereignis-Frühwarnungen zu liefen. Es können und werden aber, nicht zuletzt in Abhängigkeit der jeweiligen Modellkalibrierung, immer auch Fehlalarme ausgelöst bzw. Ereignisse nicht prognostiziert werden. Zur Erreichung einer guten Prognosequalität müssen jedenfalls folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 

  • Die Murgänge müssen durch intensive Niederschläge und entsprechend hohe Abflüsse, die das Geschiebe im Gerinnebereich mobilisieren, ausgelöst werden. 
  • Entsprechende Informationsgrundlagen, insbesondere permanente Niederschlagsprognosen hoher Qualität (gute Abdeckung durch Radardaten) müssen verfügbar sein.  
  • Der Ansatz sollte in den einzelnen Gebieten kalibriert werden. Dies erfordert eine (optisch kostengünstig mögliche) lückenlose Ereignisdokumentation. 
  • Akzeptanz und Mitwirkung der Verantwortlichen und der Bevölkerung vor Ort 

Da INADEF ein EWS-Prototyp ist, fehlen einerseits entsprechende Erfahrungswerte, andererseits steckt sicher noch Verbesserungspotenzial besonders in der Interaktion zwischen den einzelnen Modell-Modulen aber auch durch die Implementation neuer Informationsquellen. Eine Entsprechende Begleitung durch die Entwickler scheint daher sinnvoll.