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„Feuer stellt eine gewaltige selektive Kraft dar“

Porträtfoto Johann Georg Goldammer

Der Feuerökologe Johann Georg Goldammer hat das Global Fire Monitoring Center (GFMC) in Freiburg aufgebaut. Im Gespräch erklärt er den Unterschied zwischen Waldverbrennung und Waldbrand und warum man in alte Bücher schauen sollte.

Was ist momentan Ihre größte Herausforderung?

Der Krieg in der Ukraine. Mit der Ukraine arbeiten wir seit mehr als 15 Jahren sehr intensiv zusammen, aber auch mit der Russischen Föderation, in der wir mit unseren Kollegen seit 1991 sehr eng kooperieren. Wir haben bis zur Besetzung der Krim beide Länder immer wieder an einem Tisch zusammengebracht. Das ist u.a. unser Beitrag für das Mandat bzw. den Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), für die wir ebenso arbeiten wie für den Europarat.

Der trockene Frühling förderte Waldbrände. Ist das derzeit natürlich oder Ausdruck des Klimawandels?

Wir sehen auf der Nord-Hemisphäre immer zwei Peaks im Vorkommen von Vegetationsbränden. Der eine ist im Frühjahr, der nächste im Sommer. Während einer anhaltenden Trockenzeit, verbunden mit eine relativ niedrigen Luftfeuchtigkeit, brennt die abgestorbene Vegetation des Vorjahres – trockenes Gras im Freiland oder im Unterstand im Wald, einschließlich trockene Laub- und Nadelstreu – besonders leicht. Was neu ist, dass wir in Mitteleuropa – das ist vor allem dann, wenn wir im Spätwinter relativ geringe Schneeauflagen haben – bei den längeren Trockenzeiten im Frühjahr größere Brände sehen. Das ist eine Folge des Klimawandels, der ja insgesamt jetzt schon eine bedrohliche Beeinträchtigung des Bodenwasserhaushalts zur Folge hat. Wir hatten im vergangenen Jahr in Mitteleuropa ein relativ feuchtes Jahr, was dazu geführt hat, dass das Thema Waldbrand vom Bildschirm verschwunden ist.

Die mittlerweile in der Öffentlichkeit bekannten Satellitendaten zeigen weltweit jedes Jahr eine große Zahl von Bränden und ungeheuer große Brandflächen. Sind das alles Waldbrände?

In der Öffentlichkeit wird der Begriff Waldbrand für alles Mögliche verwendet. Wenn man vom Satelliten diese Brände etwa in Regenwaldgebieten sieht, dann spricht man in der Politik häufig von Waldbränden. Dabei handelt es sich in den äquatorialen Tropenregionen vorwiegend um Waldverbrennung! Das ist die planmäßige Nutzung von Feuer und der Waldumwandlung. Da steht am Anfang der politische Wille, wie beispielsweise im Fall der derzeitigen Regierung Brasiliens, die Umwandlung von Wald und auch anderer schützenswerter Ökosysteme wie Feuchtgebiete zu legalisieren bzw. bei bestehenden gesetzlichen Verboten dies dennoch zuzulassen. Als nächstes kommen die Planierraupe und die Motorsäge, die den Wald umlegen. Dann wird eine Trockenzeit abgewartet, und dann, erst als letzter Akt, kommt jemand mit dem Streichholz.

Dieser gewollte und gesteuerte Vorgang der Waldverbrennung hat nichts mit einem unkontrollierten Waldbrand gemein. Dann sehen die Satellitenaugen vor allem die Offenlandbrände in den Tropen und Subtropen, die die größten Brandflächen weltweit darstellen. Hierbei handelt es sich vorwiegend um Gras- oder Buschbrände. Die Flora und Fauna der Savannen Afrikas, Australiens und Südamerikas sind seit Hunderttausenden von Jahren an diese Feuer angepasst. Auch hier können wir nicht von Waldbränden reden. Soziale Medien und Politiker werfen diese Brände aber stets in einen Topf – und das erzeugt ein verzerrtes Bild.

Johann Georg Goldammer während eines Feuerexperiments. Foto: privat

Welche forstwirtschaftlichen Maßnahmen erachten Sie in Bezug auf Waldbrand als relevant?

Wenn ich in den Wald gehe, dann schaue ich als Allererstes auf den Waldboden. Hier brennt das Feuer, hier breitet es sich zunächst als Bodenfeuer aus, geht dann bei hoher Last an Brennmaterial auch in ein Kronen- bzw. Vollfeuer über. Wenn wir darüber nachdenken, die Resilienz eines Waldes in Hinblick auf die Folgen von Feuer zu gestalten, dann verweise ich auf die Maßnahmen des Waldbaus in Deutschland, die sich nach den großen Waldbränden von 1975 in Niedersachsen bewährt haben.

Betroffen waren damals Reinbestände an Kiefernaufforstungen, u.a. Großkahlschläge, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg plantagenartig aufgeforstet wurden. In diesen Altersklassenwälder hat man als Lehre aus den Bränden von 1975 begonnen, Rotbuche beizumischen. Damit sollte sich das Mikroklima in Richtung mehr Schatten und Feuchtigkeit entwickeln. In derart umgebauten Beständen, die jetzt mehrere Jahrzehnte alt sind, ist durch die Beimischung von Laubholz die Entflammbarkeit und das Risiko des Austrocknens heute geringer als in einem Altersklassenwald in Form einer Monokultur.

Wir sollten aber auch auf die natürlichen, großflächigen Reinbestände unserer heimischen Waldkiefer schauen, die im eurasischen Raum bzw. in Sibirien die „helle Taiga“ bilden. Es sind offene, natürliche Kiefernwaldbestände, die regelmäßig durch Blitzschlagfeuer entzündet werden. Die entstehenden Bodenfeuer befreien die Wälder von der Brandlast am Boden, ohne dass die durch ihre starke Borke geschützten älteren Bäume geschädigt werden. Schwache Bäume werden vom Feuer mitgenommen. Damit stellt Feuer eine gewaltige selektive Kraft dar, die im Grunde genommen etwas Ähnliches macht wie die Forstleute mit einer Durchforstung. Man nimmt einen Teil der Bäume raus, die schwächeren werden durch das Feuer entfernt.

Bitte erklären Sie uns den Begriff Waldbrandriegel.

Wenn wir den Wald räumlich ordnen oder so gliedern, dass er die heute und für die Zukunft verschiedene Funktionen erfüllen kann, dann ist es notwendig, strategisch geplante, insgesamt räumlich begrenzte Waldbrandpufferzonen oder Waldbrandriegel auszuweisen. Neben gezieltem Einsatz von kontrolliertem Feuer oder kontrollierter Beweidung kann man das potenzielle Brennmaterial für Wildfeuer auf dem Boden mechanisch behandeln. Wir können es häckseln und das zerkleinerte Material auf dem Waldboden als Schutz belassen.

Alternativ können wir die traditionelle Forstnutzung durch die Gewinnung von Hackschnitzeln oder Pellets als eine Quelle der erneuerbaren Energie weiterführen. Das gilt etwa für eine Pufferzone entlang von Waldrändern bzw. Waldwegen oder Waldstraßen, die größere geschlossene brandgefährdete Waldflächen auflockern oder fragmentieren. Dort kann sich ein Wildfeuer totlaufen bzw. es kann leichter aufgefangen werden.

In solchen Waldbrandriegeln können wir allerdings nicht die gleiche Biodiversität oder den gleichen Kohlenstoffvorrat erwarten wie beispielsweise in einem dicht bestockten Waldbestand mit hohem Totholzanteil. Auf trockenen Standorten sind totholzreiche Bestände stark gefährdet, durch Wildfeuer zerstört zu werden. Dazu muss ich hier klar machen: Wenn man über solche Methoden spricht, dann soll das nicht über die gesamte Fläche des Waldes praktiziert werden.

Wie ist Ihre Position zum Thema Agroforstwirtschaft?

Wenn man in die Vergangenheit schaut, dann ist die Waldweide wichtig. Das ist ein ganz spannendes Thema, weil wir in den Tropen eigentlich schon seit vielen Jahrzehnten diesen Bereich Agroforstwirtschaft mit Erfolg propagieren, das aber gleichermaßen zuhause nicht tun. Weidewirtschaft in einem offenen Lichtwald mit weitständigen Bäumen und Produktion von Wertholz an einem Standort schließen sich aber nicht aus. Hier ist das Waldbrandrisiko sehr gering, und gleichzeitig geben wir den Tieren einen kühleren und stressfreien Lebensraum.

Sollte man mehr in alte Forschungsbücher schauen?

Unsere Vorfahren haben bereits vor einhundert Jahren und auch länger davor ihre Beobachtungen in Forschung und Praxis beschrieben, die heute teilweise als neu entdeckt reklamiert werden. Ein sehr schönes Beispiel ist ein Beitrag, der im Jahr 1925 in der Forstlichen Wochenzeitschrift „Silva“ erschienen ist. Er heißt „Das Bodenfeuer als Freund des Forstmannes“ Darin hat der Autor alles beschrieben, was millionenstarke Forschungsprojekte heutzutage wiederholt feststellen und als innovative Erkenntnisse verkaufen.

Vor welchen Herausforderungen steht die Forschung heute?

Kofi Annan, der ehemalige UN-Generalsekretär, hatte immer von der „Überbrückung der letzten Meile“ gesprochen. Das Problem: Sie sitzen in einem Büro in der Verwaltung und haben eine Frühwarnung auf ihrem Bildschirm, aber die Leute draußen wissen davon nichts. Mir wurde in den 90er-Jahren daher absolut klar, dass das exponentiell angestiegene Wissen über Feuer, Umwelt, Atmosphäre und Klima weder in politische noch in administrative Entscheidungsprozesse Eingang findet. Wir sprechen vom Monitoring an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik, Stichwort – auf gut Neudeutsch – die Science-Policy-Practitioners-Interface. Deswegen habe ich 1998 das Global Fire Monitoring Center (GFMC) als eine Einrichtung gegründet, die genau das leistet, nämlich den Stand der wissenschaftsbasierten Kenntnisse in politische Entscheidungen einzubringen. Waldbrand als Querschnittsaufgabe zu betrachten, ist eine der großen Aufgaben in diesem Bereich.

Welche Empfehlungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs geben Sie, um sich auf dem Weg zum*r gefragten Experten*in zu bewähren?

Man muss die Erfahrung von unten her aufbauen. Man muss die Rolle des Feuers in der Vegetation und den Landschaften, sei es zuhause im eigenen Land oder weltweit, erkennen, erleben und vor allem mitgestaltet haben. Ich beobachte verstärkt den Trend, dass Forschung sich im virtuellen Raum bewegt und dass viele Nachwuchswissenschaftler Arbeiten veröffentlichen, die ein großes und wichtiges Thema betreffen – aber ohne jemals ein Feuer gesehen zu haben.

Zur Person

Johann Georg Goldammer ist ein international renommierter Feuerökologe, der das Global Fire Monitoring Center am Max-Planck-Institut für Chemie und an der Universität Freiburg gegründet hat. Er war bereits in mehr als 80 Ländern wissenschaftlich und politisch tätig, u.a. in Griechenland als derzeitiger Leiter der nationalen Kommission für Landschaftsbrände und vor allem in der Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Behörden sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Zu seinem Lieblingsbaum zählen die verschiedenen Arten der Kiefer. Sein Lieblingsfilm: Alexis Sorbas mit Anthony Quinn.

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