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„Wie man Menschen erreichen kann, ist so divers wie die Menschen selbst.“

Portraitfoto Elisabeth Oberzaucher; Foto: Ingo Pertramer/privat

Die ORF-Science Busterin Elisabeth Oberzaucher ist Biologin und Evolutionspsychologin. Im Gespräch mit der Lichtung erzählt sie, welche Rolle Naturraum im „Grätzl“ einnimmt und wie man Wissen am schönsten vermittelt.

Lichtung: Inwieweit ist der Mensch in der Lage mit Vielfalt umzugehen?

Elisabeth Oberzaucher: Was Komplexität betrifft, hat sich ein mittleres Maß als das Positivste herausgestellt – sowohl in sozialer, psychischer oder kognitiver Hinsicht. Wenn man die Biodiversität wirklich fördert oder lebt, dann kommt man zur mittleren Komplexität, die fantastisch auf uns wirkt. In gebauten Strukturen, wo wir sensorisch oft überladen sind, wird dieses Optimum häufig überschritten. Viele Menschen auf dichtem Raum können ebenfalls Quelle eines zu hohen Grads an Komplexität sein. Im Wald haben wir dieses Thema nicht. Außer in der Monokultur, da sinkt die Komplexität unter das Optimum.

Es dockt an die Frage nach dem Grätzl (=nachbarschaftlicher Wohnbereich) an. Für Städte ist das eine sehr wichtige Form des Zusammenlebens. Sehen Sie das Grätzl bedroht? Welche Rolle nimmt Wald oder Grünraum dabei ein?

Mittlerweile ist es in den Entscheider:innenkreisen angekommen, dass die Schaffung von Substrukturen und Kleinteiligkeit das Erfolgsrezept für größere Städte schlechthin ist. Das Schlagwort 10/15-Minuten-Stadt ist eine Überlegung, die sich mittlerweile in der Stadtplanung etabliert hat, und wo dieses Ziel klar definiert ist. Hinter der 10/15-Minuten-Stadt steht ja, dass ich meine Bedürfnisse mit verschiedenen Verkehrsmitteln in dieser Zeit erreichen kann. Wenn man diesen Gedanken zu Ende führt, dann entsteht daraus von sich aus ein Grätzl.

Wenn ich die Infrastruktur, die Bewohner:innen brauchen, tatsächlich so verteile, dann entstehen automatisch die peripheren Zentren. Deswegen habe ich keine Bedenken, dass das Grätzl stirbt. Aber: Nur weil die Infrastruktur vorhanden ist, heißt das aber nicht notwendigerweise, dass es ein lebendiges Grätzl ist. Da kommt sicherlich der Faktor Naturelement ins Spiel. Die Erreichbarkeit innerhalb kurzer Distanzen funktioniert ja nur dann, wenn eine entsprechende „Walkability“ herrscht.

Walkability beschreibt als Phänomen nicht nur, dass ich irgendwohin gehen könnte, sondern dass das mit einem bestimmten Mehrwert verbunden ist. Dass die Gehsteige sicher sind, dass das Umfeld ästhetisch ansprechend ist. Dass ich dort informelle soziale Kontakte pflegen kann. Dabei spielt der Faktor Naturelemente eine ganz wichtige Rolle. Je mehr Natur in der Stadt, desto mehr wird sie aufgewertet. Da geht es um die Wahrnehmung und den Ästhetikgewinn.

Beim Thema Urban Heat Islands (UHI) sind schließlich die Bäume unsere besten Freunde. Soziale Interaktion ist möglich und nicht zuletzt können Grünräume positive gesundheitliche Aspekte fördern. Natur ist unglaublich mächtig, um Dinge besser zu machen, egal auf welcher Ebene ich es mir anschaue.

Die 10/15 Minuten-Stadt ist ein sehr greifbares Instrument, mit dem man städtebaulich gestalten kann. Ähnlich wie die 3-30-300-Regel für mehr Bäume in der Stadt (siehe Lichtung 11 mit dem Schwerpunkt Urban Forestry).

Genau. Das ist etwas, was auf politischer Ebene entschieden wird. Das muss dann entsprechend gut kommunizierbar sein. Urban Forests beschäftigen mich auch sehr – eigentlich wollen wir in der Natur baden, aber wenn wir das tun, dann machen wir sie kaputt. Das sind sicherlich große Herausforderungen, wenn man sehr naturnahe Elemente im dicht bebauten Gebiet unterbringen möchte, wo der Nutzungsdruck so stark ist. Wie bekommt man es hin, dass die Natur bleibt? Da spielen soziale Faktoren eine wichtige Rolle. Wie inszeniere ich das Ganze, damit Respekt entsteht? Damit die Natur und eben diese Wildheit, nach der die Städter:innen so durstig sind, eben nicht kaputtgehen.

Da spielt die Wissensvermittlung eine wichtige Rolle. In der Vermittlung von Wissen gibt es den Trend hin zu Sparkling Moments, die man Kindern und Jugendlichen ermöglicht.

… und Erwachsenen! Es gibt keine Altersobergrenze.

Die ORF-Science Busters Martin Puntigam, Martin Moder und Elisabeth Oberzaucher.
In Action: Die ORF-Science Busters Martin Puntigam, Martin Moder und Elisabeth Oberzaucher. Foto: ORF

Welche Formate der Wissensvermittlung finden Sie ansprechend? Was macht gute Vermittlung aus?

Für mich gibt es viele Wege nach Rom. Diese Wege müssen auch alle begangen werden. Wie man Menschen erreichen kann, ist etwa so divers wie die Menschen selbst. Das was wir mit den Science Busters machen, erschließt eine Gruppe, die vielleicht nicht von Anfang an wissenschaftsaffin ist, sondern ins Theater geht, um in erster Linie zu lachen, und dann schummeln wir ihnen ein bisschen Wissenschaft unter.

Das Angebot muss hochdivers sein, damit sich alle ihre Rosinen aus dem Kuchen rauspicken können. Bei den Zugängen gibt es keine Limits. Wenn es um naturbezogene Inhalte geht, finde ich, dass das Angreifen, Spüren, Fühlbarmachen, wichtige Mittel sind. Abstrakte Dinge sind uns egal. Wissensvermittlung soll eine freudvolle Erfahrung und nicht vordergründig sagen: Jetzt höre einmal gut zu.

Schön ist es, wenn man Wissen als Nebeneffekt transportiert. Ein besonderes Anliegen von mir ist, zu transportieren, was Wissenschaft genau bedeutet. Wie entsteht Wissen? Da finde ich die Citizen-Science-Projekte sehr vielversprechend, wo Einblicke gewährt werden, was eine wissenschaftliche Methode eigentlich ist. Die größte Aufgabe von Wissenschaftskommunikator:innen besteht darin, zu erklären, was alles passieren muss, damit eine wissenschaftliche Aussage überhaupt möglich ist. Wissenschaft zu betreiben ist eine sehr komplexe Kulturtechnik und unterscheidet sich wesentlich von einer Aussage, die ich im Alltag treffe.

Geht es Ihnen auch darum, Wissenschaft in den Alltag einfließen zu lassen?

Es geht darum, weg von dem „Nur Ergebnisse zu kommunizieren“ zu gehen, sondern sich auch die Frage zu stellen, wie man zu den Ergebnissen kommt.

Inwieweit sind für Ihre Forschung europäische oder globale Netzwerke relevant?

Total. Das Konstrukt, mit dem ich am Allerwenigsten etwas anfangen kann, ist das Nationenkonzept. Im Kleinteiligen kann ich sagen, dass ich in meinem (sozialen) Grätzl verankert bin, vielleicht noch ein bisschen regional. Aber dann werden diese Bezugsgrößen sehr unpersönlich. Das sind künstliche Gruppen, die definiert werden. Darüber gibt es eigentlich nur mehr die Ebene „Wir sind alle Menschen“. Meine wissenschaftliche Arbeit ist interdisziplinär und international.

Sie haben sich viel mit Nudging beschäftigt. Bei diesem Konzept geht es darum, wie man Menschen dazu bringt, ihr Verhalten zu ändern. Welches Potenzial hätte das Konzept für den Wald Ihrer Meinung?

Ich komme vom Land. Dort erfahre ich häufig, dass im Tal wahnsinnig viel mit Fichte aufgeforstet wird. Da gäbe es schon Themen. Ich habe den Eindruck, dass man so weitermacht wie bis dato. Das ist in vielen Bereichen so. Aus den Routinen auszubrechen ist immer schwierig. Jetzt gerade aktuell ist die Borkenkäferproblematik – sie stellt vielleicht einen Fuß in der Tür dar, um tatsächlich spürbar mit ökonomischen Auswirkungen zu zeigen, dass die Fichten, die man jetzt pflanzt, unter den klimatischen Problemen vielfach leiden werden. Je näher ich an die Menschen rankomme, desto besser kann ich eine Verhaltensänderung bewirken.

Was ist Ihnen am Wald wichtig?

Weg von Masse, hin zu Klasse. Was mir sehr wehtut ist die thermische Verwertung von Holz und die Zerstörung von Waldboden. Das Klasseprodukt Holz ist ein Zukunftsmodell, das Masseprodukt Holz meiner Meinung nicht. Ich würde mir wünschen, dass man darüber nachdenkt, was es für die nachkommenden Generationen bedeutet. Klasse verkauft sich um einiges teurer als Masse. Dieses Umschwenken findet auch auf individueller Ebene statt

Laut der jüngsten Eurobarometer-Umfrage ist Österreich hinsichtlich der Euroskepsis auf Platz 1. Womit könnte man einen Europa-Moment bei den Menschen erzeugen?

Ich weiß es nicht, wie man einen Europa-Moment erzeugen könnte. Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass Europa für viele Menschen nicht fassbar ist. Es ist auch dem geschuldet, dass Europa zum Sündenbock gemacht wird, der weit weg ist. Dort kann man die eigenen Fehler gut parken und sagen, dass man nichts dafür kann. Die meisten Entscheidungen werden auf europäischer Ebene gefällt.

Jene, die nicht europaskeptisch sind, sind wahnsinnig froh, dass wir in Österreich nicht alle Entscheidungen treffen. Es ist eine zusätzliche Ebene der Verwaltung, die wir hauptsächlich sehen. Die Mehrwerte nehmen wir schon als sehr selbstverständlich hin. Sie können sich sicherlich erinnern, wie toll es war, als mit Schengen die Freizügigkeit an den Grenzen ermöglicht wurde. Die großen Errungenschaften sind schon in Vergessenheit geraten, also wie Europa den Alltag erleichtert.

Wir haben bei uns am BFW auch die Waldinventur, also die Waldstatistik angesiedelt. In Europa gibt es unterschiedliche Walddefinitionen, die historisch unterschiedlich gewachsen sind. Durch die Harmonisierung wird es künftig „einen Wald“ in Europa geben.

Die Frage, was uns alle verbindet, wo wir Unterschiede haben, ist sicher ein sehr schönes Thema, das den Rahmen zwischen Gemeinsamkeiten und Vielfalt spannt. Das Thema Wald bietet sich hier extrem an, er ist Sympathieträger Nummer 1. Seine Variabilität von Südgriechenland bis Nordskandinavien ist beeindruckend.

Zur Person

Elisabeth Oberzaucher kommt aus Hermagor in Kärnten. Sie hat in Wien und Würzburg Biologie studiert und lehrt an der Fakultät für Lebenswissenschaften an der Universität Wien. Seit 2015 ist sie wissenschaftliche Leiterin des Forschungsinstituts Urban Human. In der ORF-Show Science Busters tritt sie seit 2016 auf. In der Disziplin der Verhaltensbiologie des Menschen sieht sie sich am besten abgebildet. Sie betreibt Forschung zu Mobilität und Stadt an der Schnittstelle zu Menschen. Ihr bevorzugter Wald ist ein Mischwald, wo viel Unterschiedliches zusammenkommt und Totholz herumliegt. Alle Baumarten liebt sie, besonders die Rotbuche.

www.oberzaucher.eu

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