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„Da gibt es die Suche nach den Nabelschnüren“

Kampagne: Die Kunst des Entdeckens, zu finden auf www.youtube.com

Was bewegt Menschen, sich an andere Orte zu begeben und sich dabei mit unterschiedlichen Lebensweisen auseinander zu setzen? Petra Stolba, Geschäftsführerin der „Österreich Werbung“, im Gespräch über ihre Ansätze, Menschen nach Österreich zu holen und ihre Gedanken zum Wald.

Interview: Peter Mayer, Marianne Schreck

BFW: Unser Schwerpunkt für die erste Ausgabe von Lichtung ist die Sommerfrische. Erlebt sie zurzeit eine Renaissance?

Petra Stolba: Sommerfrische hat mit einem Lebensgefühl zu tun, mit einer bestimmten Zeit und mit bestimmten Rahmenbedingungen. Es wird tatsächlich wieder beliebt, sich für mehrere Wochen einzumieten, so wie das früher üblich war. Dass man ein Zimmer mietet und in die Gastgeber-Familie integriert ist.
Was Menschen heute nicht interessiert, ist das reine Abhaken von Reisezielen. Auch beim Reisen spiegelt sich der Wertwandel in dem wider, was man im Urlaub tut. Konzepte wie „Living with Locals“ nehmen beispielsweise zu und sind starke Triebfeder für das Reisen.

BFW: Geht es um die Suche nach dem Authentischen?

Petra Stolba: Vielleicht geht es eher darum, sich anzuschauen, wie andere mit ihren Ressourcen umgehen. Statt Authentizität würde ich eher sagen, dass Identität zählt. Vielleicht könnten wir überhaupt wagen zu sagen, durch die Digitalisierung werden wir immer entwurzelter. Da gibt es die Suche nach den kleinen Nabelschnüren, die uns wieder an die Welt anbinden.

BFW: Die Sommerfrische würde eigentlich in dieses Bild passen?

Petra Stolba. Genau. Spannend finde ich, dass bei der Sommerfrische damals die Städte ganz anders als heute konfiguriert waren. Sie waren damals nicht unbedingt erstrebenswerte Orte, Sommerfrische ist daher auch in gewissem Maße eine Flucht. Wenn Sie heute Städte anschauen, dann sind die extrem lebenswert geworden, mit maximalem Komfort und stadtplanerischem Vorausdenken. Daher ist es durchaus spannend, dass Menschen trotzdem immer öfter reisen, einen Ortswechsel suchen.

BFW: Das ist dann die Aufgabe der Österreich Werbung?

Petra Stolba: Österreichs Tourismus ist eine extrem kleinstrukturierte Branche: 95 Prozent unserer Betriebe haben 0 bis 9 MitarbeiterInnen. Es sind Familienbetriebe. Die Österreich Werbung unterstützt die Betriebe und Tourismusregionen mit unterschiedlichen Mitteln. Kernziel ist es, ausländische Gäste für einen Urlaub in Österreich zu begeistern.

BFW: Die Gästezahl ist in den letzten zehn Jahren um circa 40 Prozent gestiegen. Ist eine Veränderung bei den TouristInnen zu verzeichnen?

Petra Stolba: Grundsätzlich wächst Tourismus weltweit und in Österreich permanent. Seit Beginn der modernen Tourismus-Statistik in den 1950er-Jahren gab es überhaupt nur ein einziges Jahr, in dem die Anzahl der internationalen Reiseströme rückläufig war. Das war 2009, das Jahr der Finanzkrise. Aber bereits im Jahr darauf konnte das Vorkrisen-Niveau von 2007 übertroffen werden. Da wäre es spannend zu hinterfragen, ob Reisen heute schon ein Grundbedürfnis geworden ist. Es ist zwar sehr stark vom Haushaltseinkommen abhängig, aber es schaut so aus, als ob man eher andere Anschaffungen substituiert oder hinauszögert, bevor man auf Urlaub verzichtet. Österreich ist ein herausragendes Tourismusland, wir gehören zu den Weltmarktführern und sind immer unter den Top-15-Ländern. Wir hatten letztes Jahr 144,5 Millionen Nächtigungen. Das sind bei 8,7 Millionen EinwohnerInnen circa 16,5 Nächtigungen für jeden von uns pro Jahr.

BFW: Wie hat sich der Tourismus im ländlichen Bereich entwickelt?

Petra Stolba: Im ruralen Bereich und vor allem in den Alpen haben Bauern entlang der alten Säumerpfade und Handelswege schon sehr früh begonnen, Fremde zu beherbergen. Neben Kaufleuten und Pilgern brachte eine durch die Romantik verklärte Sehnsucht nach Natur auch tatsächlich die ersten Bergtouristen im Laufe des 19. Jahrhunderts in die Berge. Pioniere waren die alpenbegeisterten Engländer. Durch diese ständigen Begegnungen ist bei den Gastgebern eine Offenheit und Gastfreundschaft entstanden, die uns auch heute noch sehr stark zugeschrieben wird. Und das, obwohl wir es selber oft gar nicht glauben können.

BFW: Hat sich das Image auch von der Qualität her geändert? Sind das immer noch die Lipizzaner oder haben sich die Gäste verändert? Kommen vermehrt dieselben Gäste oder Gruppen oder ist der Markt um die Personen, die reisen, größer geworden?

Petra Stolba: Österreich hat touristisch herausragende Infrastruktur, wunderbare historische Objekte und ein ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis, Aber das alleine genügt nicht. Menschen besuchen heute lebendige Orte, wollen wissen, wie man mit Ressourcen, Kompetenzen und Fähigkeiten umgeht. Reisende sind Suchende. Österreich differenziert sich im weltweiten Wettbewerb über die Kombination von Natur und Kultur. Und wir erzählen der Welt, wie diese Verbindung in die Zeit gesetzt wird, wie wir heute und morgen damit umgehen.

BFW: Kehren wir zurück zum Wald. Die Hälfte der Landesfläche von Österreich ist Wald. Spielt er für TouristInnen eine Rolle?

Petra Stolba: In unseren Gästebefragungen wird Wald nicht explizit als Reisemotiv abgefragt. Da geht es eher um die Frage, was die Gäste im Urlaub machen, nicht wo. Tätigkeiten wie Erholungssuchen, Wandern sind dabei ganz vorne. Ich glaube nicht, dass der Wald per se wahrgenommen wird, sondern in einem Setting, das da heißt „Österreich ist landschaftlich schön, es ist sauber, es ist intakt“. Wald würde allerdings ganz stark fehlen, wenn er nicht mehr da wäre.

BFW: Sie haben ein Positionspapier zur Nachhaltigkeit verfasst, wo auch die Ökologie thematisiert ist. Sind Ökonomie und Ökologie Spannungsfelder für Sie?

Petra Stolba: Nachhaltigkeit umfasst neben der Ökologie und Ökonomie auch die soziokulturelle Dimension. Und Ziel ist es, alle drei Dimensionen unter einen Hut zu bekommen. Es gilt also, unsere Lebensräume so zu gestalten, dass alle Beteiligten – Gäste, Gastgeber und Natur – etwas davon haben.
Das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) und die Österreich Werbung sind jetzt unter demselben ministeriellen Dach (Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, Anm.). Und das gibt die einmalige Chance, Tourismus als Strategie für den Lebensraum zu verstehen. Nur intakte, spannende und zukunftsgerichtete Lebensräume sind letztlich auch für die Gäste interessant. Und genau dafür kann der Tourismus einen extrem wertvollen Beitrag liefern.

BFW: Geht es darum, Angebote für die unterschiedlichen Interessen, die es da gibt, sei es von den WaldbesitzerInnen oder von den Sportbegeisterten, zu schaffen?

Petra Stolba: Es muss Zonen für jede einzelne Gruppe geben. Es ist Platz für alle, aber nicht gleichzeitig.

BFW: Wir haben uns in letzter Zeit mit Wald und Gesundheit auseinandergesetzt. In der Landwirtschaft gibt es das unter dem Stichwort Green Care schon länger. Es geht darum, landwirtschaftliches Einkommen für BesitzerInnen zu ermöglichen. Wir haben versucht, es beim Thema Wald zu verbreitern, um zu schauen, was man anbieten kann. Die Palette reicht von der Integration von Flüchtlingen bis hin zu Waldkindergärten, Angeboten für die ältere Generation, Gesundheit und Schmerztherapie. Denken Sie auch daran, Gesundheit im Tourismus zu verankern?

Petra Stolba: Das gibt es schon. Ich halte es für extrem wichtig, dass man den Wald nicht nur als Ort für Holzproduktion begreift, sondern ihn auch emotional auflädt, also mit einer Wertigkeit und mit Leben versieht. Deswegen habe ich auch euer Projekt „Unseen Science | See Aural Woods“ so spannend gefunden. Es geht um die Frage, was der Wald mit mir zu tun hat. Da kommt man dann sehr schnell zu gesundheitstouristischen Angeboten.

BFW: Ist das gesunde Österreich ein Thema für Sie?

Petra Stolba: Also wir werben nicht vordergründig mit Gesundheit, Sicherheit oder Sauberkeit. Wir beschäftigen uns mit den Wertewelten unserer Gäste und versuchen, die tiefen Sehnsüchte für das Reisen herauszufinden. Diese „Trigger“ sind durchaus abhängig vom Kulturraum – beispielsweise beginnt eines unserer Videos in Deutschland mit dem typischen Alltagstrott: „Sie“ spult ihre Kilometer am Laufband herunter, „er“ checkt am Sofa seine Mails und sie kommen nicht mehr zum Reden, begegnen sich nicht wirklich. Ein Urlaub in Österreich, bei dem „er“ sein Handy verliert, bringt sie dann wieder zusammen.
Es geht also nicht darum, den Wald als gesunden Ort zu bewerben, sondern die Frage zu stellen, was mit mir im Wald passiert, wenn ich dort bin.

BFW: Wie halten Sie es persönlich mit dem Wald?

Petra Stolba: Wald taugt mir sehr. Ich bin in Wieselburg in Niederösterreich aufgewachsen. Das liegt an der Erlauf. Ich war im Sommer jeden Tag im Auwald, entweder im oder am Wasser oder zwischen den Gestrüppen. Der Name Erlauf kommt vermutlich von der Baumart Erle. Dieser Auwald ist auch mein Lieblingswald, erinnert mich an meine unbeschwerte Kindheit. Ich glaube, dass viele Menschen so einen Bezug zum Wald haben.

Petra Stolba ist seit November 2006 Geschäftsführerin der Österreich Werbung
www.austriatourism.com

Petra Stolbas Lektüre
„Eines meiner Lieblingsbücher von Hartmut Rosa, Resonanz. Es geht dabei um die ewige Frage, wie man in der heutigen Zeit des Höher, Schneller, Weiter zu einem geglückten Leben kommt.“

Hartmut Rosa (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp
Kampagne: An Alpine Sense of Life
„In diesem Video geben wir einen Einblick in unsere alpinen Lebenswelten.“